The Weakerthans [Kassel, 04.06.2004]

We don't hate Winnipeg.
Ein Abend mit den unvergleichlichen Weakerthans.





"and i'm leaning on this broken fence between past and present tense."
(aside)


Es hat geregnet. Am Fuße des ehemaligen Industriegebäudes einer Schwerweberei, säumen dreckige Pfützen den Weg zu dem Treppenhaus. An den Wändern hängen Reste alter Konzertplakate und die ein oder andere linke Parole darauf geschmiert, verdeckt Namen und Daten. Auf dem Treppenaufgang, vorbei an dem Hinweis, dass der Judoka Verband im Raum mit einer mir entfallenen Nummer sein Training absolviert, sieht man die üblichen Verdächtigen auf Konzerten; Menschen mit Bandshirts, deren Aufdruck einiges über sie selbst erahnen lässt. Mit Pünktlichkeit nimmt man es hier gelassen, selbst wenn sich die Türen im vierten Stock erst eine halbe Stunde nach Einlass öffnen. Nachdem man durch einen zeitgenössischen Hype daran erinnert wird, wie unkleidsam die alten Truckerkappen der späten Achziger Jahre waren, mit ihren Mesheinsätzen am Hinterkopf und den dick gepolsterten Frontpartien, die genügend Platz für Stadionbandenwerbung lassen, treten die vier Kanadier, die der Grund für die Zusammenkunft all der mit Leidenschaft erfüllten Musikliebhaber an diesem Abend sind, entspannt auf die Bühne.

And when tomorrow gets here where will yesterday be.
(Reconstruction Site)

Mit dem Sonett Manifest eröffnen die Weakerthans ihr Set, welches in den gut zwei Stunden, Stücke ihrer letzt jährigen Platte "Reconstruction Site" so wie der beiden Vorgänger Alben beinhalten wird. Die vier Musiker haben ganz offensichtlich Freude daran, in einem so kleinen Club wie der Kasseler Factory zu spielen, und hoffen, dass die Höhrer etwas von diesem Abend mit auf den Weg nach Hause nehmen. Der ehemalige Propaghandi Bassist John K. Samson, in einem schwarzen Constantines Tourshirt, ist ein Songwriter, ein Sänger und auch ein Poet. Seine schmächtige Figur erscheint äquivalent zu den bedeutsamen Wortgeflechten, die sich in seinem Kopf zu wunderbaren Kompositionen verbinden; Statements gegen die sozialen, politischen aber auch die kleinen privaten Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Kaum eine Gruppe der letzten Jahre, versteht es so gut Intimität mit dem Publikum aufbauen, wie diese ausdrucksvolle und illustrative Band. Bei den gut einhundertfünzig Menschen im kleinen Theaterraum, kann man immer wieder ein behagliches Strahlen im Gesicht bemerken, wenn man sich während den Stücken umdreht. Mit Wohlbehagen goutiert man die musikalische Brillanz, die im Gegensatz zu den Alben mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug, sowie diesem liebevoll eingebetteten Kinderspielzeug, der Röhnröhre, im Stück Elegy for Elsabet, geschwungen von Gitarrist Stephen Carroll, umgesetzt wird. "Winter dies the same way every spring."

"How I don’t know what I should do with my hands when i talk to you.
How you don’t know where you should look, so you look at my hands."
(Pamphleteer)

Er möchte nicht, dass man es bemerkt, und doch kann man das permanente Kauen von Kaugummis während des Auftritts, als selbsttherapeutischen Ausgleich für sein Laster erahnen; Samson ist leidenschaftlicher und intensiver Raucher, und nur für das Gitarrenspiel sind seine Finger so lange das Konzert wärt, zigarettenlos. Und ein bisschen schaut er ja aus wie Ray Bolger, der Schauspieler der die Vogelscheuche aus dem amerikanischen Märchen der Zauberer von Oz spielt; kantig, hager, und mit den strohblonden, kurzen Haaren, die sein Gesicht noch schärfer wirken lassen. Und ein bisschen hat man auch das Gefühl ihn in den Arm nehmen zu müssen, wenn er gelegentlich die Augen beim singen schließt, seine Gesichtszüge ernst aber nicht angespannt wirken, nur um dann doch in einem erleichterten Lächeln die Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung zu erzählen.

"When I get a new guitar, you can have this one and sing me a lullaby.
Sing me the alphabet. Sing me a story I haven’t heared yet."
(My Favourite Chords)

Auf den Fingern zu pfeifen ist eine kleine Kunst für sich, und Samson kann es genauso wenig wie ich, doch bemüht er sich, den gut gemeinten Ratschlägen aus dem Publikum zu folgen, als er für die Zugabe zunächst allein auf die Bühne zurückkehrt. Dennoch schafft er es nicht den erhofft schrillen Ton erzeugen zu können; "It’s just one of those things, you failed to learn in your childhood, and wont get it anymore." Er wirkt zufrieden, als er One Great City, spielt, in welchem immer wieder die kontroverse Zeile "I hate Winnipeg" vom Publikum unterstützt wird. Winnipeg, Samson und Carrols Heimatstadt, deren kulturelle Innovationen er so leidenschaftlich zu unterstützen ersucht. Dem ungeachtet erzählt das Lied episodenhaft von den immer wiederkehrenden Alltagsdramen seiner Bewohner; Kleinstadtbetroffenheit. John P. Sutton, Bassist der Kanadier, versichert mir nach dem Konzert, dass es ihm eine große Freude war, in einem so kleinen Club zu spielen, vor allem mit dem Gedanken, an die beiden Großveranstaltungen die in den nächsten Tagen folgen würden. Die Musik der Weakerthans ist zu zerbrechlich, als ob sie auf einer voluminösen Bühne ihre intime Schönheit entfalten könnte. Schließlich erklärt sich ihr Name nicht umsonst aus Ralph Chaplins Gewerkschaftslied Solidarity Forever mit der Zeile "What force on earth could be weaker than the feeble strenght of one, but the union makes us strong".
foto: kirstie shanley

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