The Legends [Up Against The Legends]

So geht Legendenbildung: Wo ein Wille ist, ist auch Rock'n'Roll.
The Legends debütieren mit Indie-Soul-Punk-Garage-Pop, der dem Sommer verdammt gut steht.



"so easily you take a stand, the opposite on everything i say."
(call it ours)


Man bekommt ja alles auf eBay. Nur leider nicht immer alle interessanten Angebote rechtzeitig vor dem finalen virtuellen Hämmerchenschlag mit. Sonst hätte man zugreifen können, wie eine Horde rotgesichtiger Polohemd Pauschaltouristen am All-you-can-eat-Büffet: Im Januar 2003 haben die Oasis-Brüder Liam und Noel Gallagher nämlich anscheinend das Rezept für ihr ozonlochformatiges Selbstbewusstsein versteigert. Natürlich ohne Großmaultum, das hätte bloß die Portokosten in die Höhe getrieben. Glücklicher Auktionsgewinner war, so ahnt man zumindest, der Schwede Johan Angergård. Dieser hat nicht lange gezögert und wahrscheinlich bereits dem Überweisungs-träger vorfreudig lechzend den Verwendungszweck anvertraut: Bandgründung. Und da Bescheidenheit fortan nicht mehr in seinem Repertoire existierte, wurde dem musikalischen Wunschkind kühn ein Name für die Ewigkeit verpasst: The Legends. Eine Woche später hat der Legendenbildner seine Formation als Vorgruppe für ein großes Konzert buchen lassen. Allerdings türmten sich einige garstige Felsbrocken auf dem Weg zum erfolgreichen Konzertdebüt.

Problem 1: Nicht genug Bandmitglieder.
Problem 2: Nicht genug Bandmitglieder, die ihr Instrument richtig beherrschen.
Problem 3: Kaum eigene Songs.

Andere hätten verzweifelt einen schmucklosen Trauerkranz vor den eigenen Grenzen niedergelegt, nicht so Johan Angergård. Der steckte sie einfach neu, von hier bis zum Mond. Und er konnte sich das nicht nur wegen des Gallagher-Rezeptes von eBay leisten. Er besitzt nämlich selbst ein begehrtes Rezept. Für große Pop-Songs im Zweieinhalbminutentakt. Zehn Monate später veröffentlichen neun Freunde auf dem schwedischen Qualitäts-Label Labrador ein beachtliches Album: "Up Against The Legends", eigens von Johan Angergård produziert.

Zwölf Titel in exakt dreißig Minuten. Die Single-Auskopplungen Call It Ours, There And Back Again und Make It All Right rotieren im schwedischen Radio wie das einzige Karussell auf einem Dorffest, die Presse ist begeistert. Dass das irgendeinen Grund haben muss, ist klar. Es hat sogar mehrere: Hüpfender Motown-Sound meets The Strokes auf der Allee der Sonnenmelodien. Und links und rechts stehen Lalala-Backgroundchor-Menschen Spalier, die handclappen, als sei dies die Krönung des Daseins. Wer die Songs der Legends nach einmaligem Hören nicht mitsingen kann, sollte sich Sorgen um sein Kurzzeitgedächtnis machen. Und wer sich Sorgen darum macht, welche Platte zum Soundtrack des Sommers auserkoren werden könnte, dem seien die Legends freundlichst empfohlen, sogar fast: befohlen. Miniatur-Hymnen, die soviel Energie in sich tragen, dass selbst das Gallagher-Selbstbewusstsein als Maßeinheit kläglich versagt. Eine Platte, die mehr Spaß macht, als der gesamte deutsche Comedy-Zirkus zusammen. Von einer Band, die spielfreudiger ist, als die tschechische Fußballnationalmannschaft. Und die beweist: Wo ein Wille ist, ist auch Rock'n'Roll.
text: Ina Simone Mautz
foto: henrik mårtensson



the legends
"up against the legends"
labrador 2004 cd
the legends

weiterlesen...

Die Sterne [Kassel, 17.07.2004]

Die Lage der Nation im Spiegel der Sterne.
Ambitionierter Gedankenaustausch in einem Zirkuszelt.



"verstehen ist nicht das slebe wie überstehen - aber auch schön."
(dto.)

Aufgrund der kulturell vielfältigen Begegnungen nicht nur auf sondern auch vor der Bühne, wurde das Kulturzelt an der Drahtbrücke in Kassel schon von so manchem Feuilleton charmant als hessisches Montreux bezeichnet. Seit nun mehr achtzehn Jahren ist die documenta-Stadt an der Fulda Gastgeberin dieses farbenprächtigen, kulturellen Aushängeschildes und zelebriert Musik, die Zeitgeist und Tradition in gleichem Maße atmet. Im diesjährigen Programm gastieren nicht nur Musiker aus der ganzen Welt auf der kleinen Bühne unter dem bunten Zelt, sondern auch wie jedes Jahr eine Auswahl deutscher Künstler.

"Jetzt gehen wir hier nicht weg, das wär Irrsinn, jetzt nerven wir damit, dass wir hier sind. Wir rühren uns nicht vom Fleck!", eröffnen die Sterne musikalisch ihr beinahe zweistündiges Set an diesem Abend, kurz nachdem sich Frank Spilker, der hünenhafte Frontmann der Hamburger, darüber freute, dass man offensichtlich extra wegen ihnen das Interior des Zeltes mit einem Sternenhimmel dekoriert habe. Das Publikum ist an diesem Abend so unspezifisch durchmischt wie die Konsumenten Mittwoch morgens im ortsansässigen Aldi Markt, und es überrascht, dass die wenig medienwirksame Sterne Musik selbst bei Menschen, denen sie offenbar unbekannt ist so gut aufgenommen wird. "Das nächste Stück hat etwas mit Bewegung zu tun", räumt Spilker ein, und es ist unwesentlich um welchen Song es sich handeln wird, denn die Sterne waren stets die Band der Hamburger Schule, welche bei Konzerten am besten, weil tanzbarsten funktionierte. Und, während Thomas Wenzel und Christoph Leich an Bass und Schlagzeug dafür Sorge tragen, dass eben diese Bewegung durch das Publikum transportieren wird, bleiben die Stücke der Hamburger nie so oberflächlich, wie man es Popsongs zuschreibt.

Gerade auf der aktuellen Platte "Das Weltall ist zu weit", lassen sie den popspezifischen unbewussten Moment, das vermeiden von Konkretisierung, außen vor. Nicht umsonst hat man in der letzten Zeit im Bezug auf die Sterne öfter vergleichend Konstrukte wie Ton Steine Sterne in Überschriften der Musikpresse gelesen. Um die deutsche Sprache in der jüngeren Musik zu etablieren, hat die Hamburger Schule, mit Bands wie Blumfeld, Tocotronic oder eben auch den Sternen, einen Großteil beigetragen, so dass aktuelle deutschsprachige Gruppen auf dieser Freiheit aufbauen können. Und obwohl sich viele eben dieser neuen Bands am Rande auch politisch verstanden fühlen wollen, möchten sie keine Grundsatzdiskussionen führen und wirken in ihren Bekundungen oft einfach gestrickt und plump. Es fehlt eine deutlich politische Stimme in dieser, zur Zeit enorm erfolgreichen deutschen Musik, aber Plattenverträge und Absatzorientierung der großen Musikkonzerne verwässern die Positionen und lassen die Musik profillos und an politischer Aussage so rar erscheinen wie die neue politische Mitte. die sterne Einer gut gelaunten Band, die gern das Gespräch mit dem Publikum sucht und höflich lächelnd Diskussionen über Zigarettenpausen führt, gelingt es beinahe das gesamte neue Album live darzubieten ohne dabei auf eine große Auswahl etablierter Stücke ihrer nunmehr über Zehnjährigen musikalischen Präsenz darzubieten. Die Interessanten, Das Bisschen Besser, Trrrmmer oder Universal Tellerwäscher sind genauso vertreten wie Stücke ihres wenig beachteten Weltall Vorgängers "Irres Licht". Live begeistern die Sterne stets mehr als auf Platte, und es ist angenehm zu beobachten, wie versiert die vier mittlerweile im Umgang ihrer Instrumente geworden sind. "Schön, dass wir uns mal persönlich kennen gelernt haben", goutiert Spilker, nachdem er ab und an von der Bühne gestiegen ist, und wie ein tumber, aber vorsichtiger Riese durch das Publikum schritt. Zur ersten Zugaben stellt Spilker seine Kollegen Richard von der Schulenburg und Thomas Wenzel in modischer Unisex Sommerkleidung vor: schwarze, nur fraglich ästhetische Regenüberwürfe, welche die Träger auf der Bühne entpersonifizieren wie es früher DEVO oder die Residents vollführten. In weißen Lettern ist das Wort Kaltfront aufgedruckt, der Sternes Antwort auf die bizarren Ausmaße der radiorotierenden Sommerhits; Hier kommt die Kaltfront, der selbsternannte Herbsthit der Sterne.

Nach zwei weiteren Zugaben begibt man sich wieder nach draußen, raucht eine Zigarette, isst und trinkt und unterhält sich. "Herauszufinden wo man hingehört und was man eigentlich will, kann manchmal leider etwas dauern und währenddessen passiert viel."
foto: martin boehnert



weiterlesen...