Madsen [Madsen]

Laut schreiende Schwebezustände.
Die Marketing Maschine schreibt den Namen Madsen bereits an jede freie Litfasssäule und generiert, wie so oft, einen immensen Hype um ein paar Jungs, noch bevor die ersten Töne angeschlagen werden.



"und heute wird wie morgen sein. ich möchte einfach nur wissen wer ich bin."
(wohin)


Man sollte vielleicht berücksichtigen, wenn man sich mit dem Debüt Album der Wendlander Band Madsen beschäftigt, dass es zur Zeit in der Republik nicht gerade schwer ist, einen Hype zu entfachen, wenn es dabei um deutschsprachige Gitarrenmusik geht. Und ganz besonders dann nicht, wenn hinter diesem Debüt auch noch ein schwergewichtiger Konzern wie Universal steht, dem es nicht schwer fallen dürfte, den bereits erfolgreich medial omnipräsenten neuen Hengst im Stall auch gleich auf die meisten der diesjährigen Festival Gelände zu stellen. Zu allem Überfluss schreibt auch noch, und damit hätten wir die dialektische Dreisamkeit beisammen, der populäre Indieveteran und seines Zeichens selbst Labelchef, Thees Uhlmann die Presse Laudatio zu dieser Band. Und dass eben dieser Herr nicht gerade sparsam mit Superlativen umgeht und umgehen will, wenn es das Herz verlangt, ist gewiss. Mit all diesem Wissen im Hinterkopf, wird diese Band wahrscheinlich einmal mehr Lager polarisieren.

Zurückspulen. Die Brüder Sebastian und Sascha Madsen haben bereits Mitte der Neunziger gemeinsam mit Nico Maurer englischsprachige Musik gemacht, die wir hier getrost unbeachtet lassen können. Jeder weiß, was in den Jugendzentren dieses Landes Mitte der Neunziger von dem Klientel eingefordert wurde, und dass dies wenig rühmlich war. Dennoch ist Musik, und hier spreche ich gewiss aus Erfahrung, eine der wenigen ambitionierten Tätigkeiten, die einem von der provinziellen Einöde quasi aufgebürdet werden, wenn man sich aus dieser festen Umklammerung der scheinbar seit Jahrzehnten stillstehenden Zeit der Bedeutungslosigkeit herauslösen möchte. Meine nordhessischen Erfahrungen dürften hier nicht weit vom norddeutschen Wendland – Home of the Castortransporterstopps – divergieren. Diese kleinstädtische und ländliche Unzugehörigkeit kann jedoch auch durchaus etwas für sich haben, unterliegt man keinen Zwängen was Richtungsausprägung und szeneabhängige Einschränkungen anbelangt. Die Zeit hat sich nun jedoch gewandelt, selbst in der Provinz, und das von H&M ausgestattete Volk fordert vehement den medialen Overkill der georgelucasschen, musikindustriellen Klonkrieger in deutscher Sprache ein. Unangebracht, den fünf Mit- bis Endzwanzigern von Madsen zu unterstellen, dass sie auf der Reklamation der perfekten Welle schwimmen wollen. Angebrachter vielleicht schon eher, dass der angesprochene Konzern hier weitsichtige Scouts entsandte, die ein sicheres Händchen bei der Wahl neuer Helden beweisen sollten.

"Sie sind verdreckt und keiner hat sie gern / Halte dich von diesen Kindern fern / Sie sind unintelligent und wollen auch nichts lernen / Halte dich von diesen Kindern fern / Das ist alles was du sagst / Genauer wird nicht nachgefragt / Es gibt nur gut und schlecht dazwischen ist nichts." (Diese Kinder)

Madsen gelingt es zunächst aufs erstaunlichste eine respektable Gitarrenmusik mit Querverweisen zu Punk und Rock und dem was man als Plagiat des Sounds der Hamburger Schule betrachten darf, zu produzieren, und dabei einen homogenen Klang und Gestus zu transportieren. Man weiß mit lauten und leisen Harmonien zu spielen und dabei besonders die Stimme von Sebastian Madsen als Objekt mit dem höchsten Wiedererkennungswert gezielt einzusetzen. Zwischen zartem Wehklagen und zornigem Geschrei nutzt er viele Facetten seiner Ausdrucksweise und erinnert besonders in seinen lakonisch wütenden Momenten klanglich an die frühen Jahre der Hamburger Band Tocotronic. Konträr zu den Texten eben dieser jugendbewegenden Band, bewegen sich die Texte des Herrn Madsen jedoch auf einem weitaus unkonkreteren Terrain, was es ihm erlaubt unterschiedliche Empfindungen in den Rezipienten auszulösen, aber trotzdem konkrete Momente des Zwischenmenschlichen zu skizzieren. Eine eher angloamerikanische Tradition wird behauptet. "Ich, du, wir, die Welt, der Himmel, die Hölle, das Leben und der ganze Rest, hin und zurück in einer Zeile! Das muss man erst einmal schaffen. […] Das Schönste an Rockmusik: das Erklären in drei Minuten." (T. Uhlmann) Ich, du und wir sind tatsächlich die drei Eckpunkte, die hier in den zwischenmenschlichen Beziehungen beklagt und resümiert, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und ausgelotet werden, ohne dabei auf die tückenhaften, metaphorischen Klischees der Liebe hereinzufallen. Statt derer wird eine überraschend erwachsene, distanzierte Betrachtung der Dinge, wie sie nun mal sind artikuliert. "Wir erzählen uns jeden Tag / Wie sehr wir uns lieben / Wir verschweigen uns jeden Tag / Das wir uns belügen / Doch du hältst dich an mir fest / Du lässt mich nicht mehr los / Denn so sind wir es ja gewohnt" (Immer Mehr) Die melancholische Stimmung immer wieder durch das beachtenswert melodische Schreien gebrochen. Ein identitätserfassendes Ganzes, unfehlbar schön und unerreicht unprätentiös?

Die zu bewundernde Diskrepanz zu den gleichgeschalteten, radiophilen Stücken oben bereits erwähnter Deutschpop Welle, kann offensichtlicher nicht sein, wenn man sich den elf Stücken des selbstbetitelten Debüts nähert; sperrige, wenn auch offensiv produzierte Klänge, schrammelige Gitarren und vor allem eben jene exzessiv geschrieenen Textpassagen wie etwa in der Aufmerksamkeit erregenden Single Die Perfektion, dürften verstörend auf die üblichen Konsumenten wirken. Als wolle er die kratzigen, aber dennoch harmonischen Klänge der Strophen mit seiner tobenden, emotionalen Unmittelbarkeit verstören, setzt sich der smarte Sänger immer wieder in Szene. Dies gelingt einmal mehr (Die Perfektion) und einmal weniger eindrucksvoll (Panik, mit beinahe an Such-A-Surge angelehnten Sprechgesangsparts) Das alte Laut – Leise Spiel, dass die fünf Herren hier immer wieder in aller Deutlichkeit aufs neue strapazieren, wirkt jedoch mit der Zeit sehr berechenbar auf den Hörer, und kann als prominentestes Stilmittel der Wahl nicht auf kompletter Albumlänge begeistern, da hierfür die musikalischen Hintergründe der Stücke leider zu wenig abwechslungsreich sind. So scheinen nach mehrmaligem Hören besonders die eher ruhigen Momente auf der Platte überzeugen zu können, die zunächst atypisch für den bereits gefundenen Stil von Madsen sind. Eine schwermütige Grundstimmung, wie man sie etwa bei den älteren Stücken der Hamburger Tomte findet. Eine lakonische, adoleszente Subtilität die sich etwa in der balladesken Vertonung eines "jugendlichen Schwebezustandes" (Intro) in Form des Stückes Im Dunkeln ausbreitet. "Die Masken ab, nichts mehr perfekt / Wir brauchen uns nichts vorzuspielen, die Zuschauer sind weg / Keiner weint und keiner lacht / Die Tür geht zu und wir sagen gute Nacht / Denn das ist jetzt der Moment / In dem alles endet und neu beginnt."

Den Erfolg, der sich über kurz einstellen wird, darf man den Herren dennoch für ihr Debüt gönnen, wenn auch nicht gleich so euphorisch manifestiert, wie Thees Uhlmann dies tut: "Wenn Madsen Erfolg haben, dann ist das nicht der viel beschworene Zufall, sondern erstens gerecht und zweitens Bestimmung!"
foto: ingo pertramer



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"madsen"
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