Saint Etienne [Tales From Turnpike House]

Geschichten vom Turnpike Haus.
Die Briten mit dem glamourösen französischen Namen Saint Etienne konzeptionalisieren ein Album mit Geschichten einer Wohnhausgemeinschaft mit sommerlicher Leichtigkeit.


"let's have some fun tonight."
(stars above us)


Das Leben findet in Jahreszyklen statt, jeder Mensch unterwirft sich dem Takt der Natur und wenn nicht, so zwingt ihn sein soziales Umfeld dazu. Im Winter muss man es sich vor dem imaginären Kamin bequem machen, Schlittschuhlaufen gehen und Weihnachten feiern. Im Sommer hat man dem Sonnenschein entsprechend Fröhlichkeit auszustrahlen, man geht Eis essen, fährt an den Badesee und macht wahlweise Urlaub auf Mallorca oder an der Ostsee. Ein ebenso jährlich wiederkehrendes Phänomen ist die Frage nach der Sommerplatte des Jahres. Sie wird überall und quer durch alle musikalischen Schichten gestellt, ob als Marketinginstrument bei Prosieben oder als Geschmacksbarometer im Intro-Forum.

Seltsam abgeschmackt erscheint diese Schublade, in die alles gesteckt wird, was entweder zur besten Reisezeit des Jahres im Ballermann 6 das größte Mitsingpotential entfaltet oder das andererseits an Sommertagen das eigene Herz in die richtige Stimmung für einen Tag im Park versetzt.

Dennoch oder gerade deshalb ist "Tales from Turnpike House", die aktuelle Veröffentlichung der Briten von Saint Etienne, ein Album für den Sommer, ein unbestimmter Artikel statt Totalität, ein Ausschnitt statt allumfassend. Ein Konzeptalbum mit einem inhaltlichen Grundgerüst, das ebenso schlicht wie ungewöhnlich erscheint: Ein einzelner Tag in einem Wohnblock namens Turnpike House wird beschrieben, dessen Bewohner in einem gemeinsamen sozialen Interaktionsprozess stehen. Bereits das wunderschön gezeichnete Cover von Laura Finley führt in den Mikrokosmos Turnpike House ein, eine aufgeschnittene Seite des Wohnblocks offenbart die Menschen in ihrer privaten Alltagsexistenz der eigenen vier Wände. Saint Etienne vertonen Alltagserlebnisse im Tagesablauf, die mit Sun In My Morning beginnen und mit Goodnight enden, sie werden in einem großen Bogen gespannt und zusammengefasst. Dabei werden einzelne Charaktere wie Doris Brown oder Gary Stead geformt, die immer wieder im Verlaufe des Albums respektive des Tages aufgegriffen werden.

Solch ein Konzept birgt die Gefahr, dass die Musik sich dem Diktat der inhaltlichen Ausgestaltung unterwerfen muss, doch Saint Etienne gelingt eine herrliche Symbiose beider Aspekte. Herausragendes Verbindungsglied ist dabei die Stimme von Sarah Cracknell, die den Klang von Saint Etienne entscheidend prägt. Sanft, unaufdringlich und dennoch einzigartig einnehmend gibt sie der Musik von Bob Stanley und Pete Wiggs Charakter und hebt sie aus der gleichgültigen Beliebigkeit von durchschnittlicher Loungemusik heraus.

Dabei ist ihr Sound sehr glatt, manchmal etwas zu sehr, es gibt keine Ecken und Kanten an denen man sich stoßen könnte. Bei Songs wie Milk Bottle Symphony oder Teenage Winter wird Pop groß geschrieben, der Klang ist von intensivster Reinheit. Das Songwriting klingt streckenweise Sixties-inspiriert und die Gitarren entfalten sich zurückhaltend, eingebettet in sanfte elektronischen Beats. Die dezente glamouröse Note, die dem typischen Saint Etienne-Sound innewohnt, erhält in Relocate eine besondere Betonung durch das Duett mit David Essex, der ein wenig an vergangene Zeiten erinnert. Saint Etienne aber inszenieren ihre Musik zeitlos schön. Zu zeitlos, um sie einem bestimmten Sommer zuzuordnen. Es ist elegischer Pop, der sich subtil im Bewusstsein festsetzt und dort seine ganze Kraft entfaltet ohne aufdringlich zu sein oder gar in Hektik zu verfallen. Es ist Musik, welche die Sonne aufgehen lassen kann. Und wenn die Sonne untergeht, bleibt zumindest ein klarer Sternenhimmel zurück.
foto: saintetienne.com



saint etienne
"tales from turnpike house"
sanctuary records 2005 cd / lp
saint etienne