Jens Friebe [In Hypnose]

Wie ein B-Movie Star.
"Jens Friebe in Hypnose" prangt in Schund fiktionalen Lettern über dem Hauptdarsteller und präsentiert in zwölf Szenen das aktuelle Leben zwischen Pet Shop Boys und Kolossaler Jugend.



"und die venus rockt das dritte haus."
(messer von hinten)


"Abgrenzungen gehören in der Musikszene zum guten Ton. Wichtig sind nicht nur Lieblings Platten, die man sowieso mit möglichst niemandem teilen möchte. Die wahre Zugehörigkeit zeigt sich in szenegerechten Codes. Für Frisuren und Outfits gilt das schon immer." Was zunächst ein wenig nach Cultural Studies klingt ist in Wahrheit ein Zitat aus der aktuellen Werbekampagne eines populären deutschen Brauerei Konzerns, welcher hier mit den individualistischen Szenegängern anbandeln möchte. Der Bloc Party und Tocotronic Hörer wird zum "schnörkellosen" klassischen Pilstrinker mit angestrebtem Indie Lebensstil. Hört man Black Eyed Peas oder Common muss zwangsläufig "Sportzigarette" geraucht und Baggy Pants getragen werden, und man wird augenscheinlich zum "Mixfan", zum Konsumenten der alkoholischen Mixgetränke, denn "Mix-Biere sind Part der Hip-Hop Kultur". Die heilige Vierfaltigkeit aus Breakdance, Graffiti, DJing und Rap wird also ergänzt. Hört, hört.

Aus diesem aufdringlichen Begehr nach Individualität, der Abgrenzung und gleichzeitigen Subsummierung unter eine vom Markt erschlossene Szenecodierung, fällt Jens Friebe gänzlich heraus und bricht somit neu gezogene Grenzen. Vielleicht ist dies auch Teil des Mysteriums, welches seinem Debüt Album "Vorher Nachher Bilder" eine solch zwiespältige Meinung unter den Hörern bescherte. Die Einen liebten seinen trashigen Umgang mit Musik unter gleichzeitiger Verwendung intellektueller Texte und einer selbstbewussten Selbstverständlichkeit beim Spiel mit so unpopulären Trademarks wie Italo Disko. Die Anderen verschreckte seine sexuell ambivalente Ästhetik, das androgyne Dandytum und Friebes seltsam anmutende, schrullige Stimme. Dieses Spannungsfeld zwischen Allgemeingültigkeit und Irritation, welches Teil von seinem Konzept, Teil seiner Arbeit ist, bedient er auch auf dem neuen Album, auch wenn sich dieses deutlich vom Vorgänger abhebt.

Mit Produzent Tobias Levin wurde aus der zwielichtigen Zwischenwelt von elektronisch trashigem und gitarrenorientiertem Songwriting das Augenmerk mehr auf die letztere Komponente gelegt. Der verspielt naive Dance Track Bungeeseil scheint hier noch am ehesten als Bindeglied zwischen den beiden Veröffentlichungen agieren zu können. Ansonsten bewegen sich die neuen Stücke besonders aufgrund der musikalischen Unterstützung durch die beiden Schlagzeuger Chris Imler und Tex Strzoda sowie der prägnanten Slideguitar von Lassie-Singers Gründungsmitglied und Regierung Produzenten Hermann Herrmann auf einem anderen Terrain. Ohne dabei jedoch gänzlich den lieb gewonnenen bzw. verhassten Elementen abzuschwören. Inhaltlich wechselt eben dieser Untergrund vom ewigen Eis, dem fernen All oder der Straße nach Berlin hin und her und weiß düsterere Bilder zu malen als der Vorgänger. Verschwunden sind die verspielten Ravensburg Verweise und die fliegenden Schmetterlinge um Friebes lächelnde Person. Man präsentiert sich in einer schwarzen B-Movie Ästhetik mit Monsterskizzen und die Sonne ist durch Sternbilder ersetzt. Der Blick des Wahlberliners zielt ins Leere anstatt in die Augen des Betrachters.

"Ihr müsst sie feiern wie sie fallen / Ihr müsst mich feiern wie ich fall / Wie die schönste von allen / Auf dem Abschlussball", eröffnet das Album mit einer kleinen Hymne und mit einem Refrain dessen Text in seiner ungeniert destruktiven Vollendung im Kopf bleibt. "'In uns beiden sehen die Amerikaner sich selbst. Wenn sie dich betrachten, sehen sie sich, wie sie gerne wären. Wenn sie mich betrachten, sehen sie, was sie sind', so Nixons Worte in Oliver Stones gleichnamigen Film, gerichtet an ein Ölgemälde von J.F.K. Darüber wollte ich schon immer ein Lied machen", erklärt Friebe das Stück Kennedy". In dessen Video wird das Amerika der Sechziger Jahre adaptiert, samt intrigantem Abschlussball Szenario.

"Hypnose" vereint zwölf intelligente Popsongs die zwischen Aufklärung und archaischer Sehnsucht hin und her gerissen erscheinen, wie Messer Von Hinten, in welchem sich Friebe geradezu mystisch und anmutig mit der profanen Illusion der Hellseherei beschäftigt. "Astrologie Show, Hörertelefon / Eine Endloswarteschleife / Eine Frauenstimme wiederholt / Bitte haben sie Geduld!"

Überhaupt weiß er Texte zu formulieren, die in ihrer wunderbaren Metaphorik als Zitat die unvorstellbarsten Momente erhellen werden. Wie kann Vertrauen schließlich trefflicher beschworen werden, als wenn er in Lawinenhund "Wie eine Stimme, die beim Tischfußball zu dir spricht / Klapp deine Männchen hoch, den Rest mach ich" singt. Seinen Jugendhelden, den Stooges und den Smiths widmet er mit den Stücken Lawinenhund und Theke Mit Den Toten eine kleine Hommage, und erklärt ironisch ehrlich im Pressetext dazu, dass ersteres eine "flauschige Version" von I Wanna Be Your Dog und letzteres der "Versuch eines deutschen Meat Is Murder" darstellt. Konkreter im Zitat wird Friebe bei dem elektronischen Tanz Track Es Hat Keinen Namen - einer Coverversion des gleichnamigen Regierungs Songs - und dem ausschweifenden und berührenden They Might Be Giants Cover Roadmovie To Berlin, mit welchem er die Platte beschließt.

Fraglich bleibt nach dem Durchhören des Albums, welches Bier man Jens Friebe am Tresen ausgeben sollte, lässt er sich doch in keines der Eingangs erwähnten "Welches Bier markiert welche Szene" Schemata einordnen. Vielleicht ist es jedoch profaner und gleichsam andachtsvoller als man denkt. "XTC und Red Bull kommen gut / Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut" (Abend Voller Glück).
foto:


jens friebe
"in hypnose"
labels 2005 cd
jens friebe

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KeepInTime [A Live Recording]

"A documentary is a film that starts without a beginning or an end."
Mit dem dokumentarischen Projekt Keepintime gelingt dem irischen Regisseur und Fotografen Brian Cross eine geschichtsträchtige Zusammenführung der Connaisseur des Rhythmus.


"when we play rhythms, we are singing songs in our minds."
(joao parahyba)

Recycling in Form von Samples ist eines der Herzstücke des HipHop, einer - so betrachtet - geschichtsträchtigen musikalischen Bewegung, die sich immer im entspannten Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart bewegt. Das Dokumentarprojekt KeepInTime begann mit einer spontanen Fotosession und uferte später zu dem jetzigen extravaganten audiovisuellen Zeitdokument aus, welches selbst auf eine dialektische Weise Geschichte schreibt. Keepintime ist wohl eines der ambitioniertesten Projekte, welche sich mit der zeitgenössischen Hip Hop Kultur - im Wesentlichen hier der Musik - und seiner Geschichte auseinander zu setzen versucht. Während die ersten Gedanken und Ansätze zu dieser liebevollen und leidenschaftlichen Großtat in den späten Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts anzusiedeln sind, beginnt die Geschichte, die sich unüberwindbar dahinter versteckt bereits viele Jahrzehnte zuvor. Ich glaube nicht, dass es eine andere sinnvolle Herangehensweise zu diesem Projekt gibt, als die Geschichte - wenn auch nur in groben Zügen - der Reihe nach zu erzählen, um am Ende in der Gegenwart anzugelangen und einen Ausblick in die Zukunft zu bieten.

"There’s a long story here and in large part, it’s the story of rhythm in the 20th Century."

Brian Cross, der sich selbst B+ nennt, ist ein irisch stämmiger Fotograf, Schriftsteller, Regisseur und bekennender Liebhaber der, sich dem Mainstream entziehenden amerikanischen HipHop Kultur. Letzterer Aspekt trägt maßgeblich dazu bei, dass Cross Anfang der 90er Jahren in die Westküsten Metropole Los Angeles zieht, um dort seinen Master Abschluss an dem California Institute of the Arts zu machen. Cross’ Präsenz erlangt schnell Einfluss auf die unabhängige und eher experimentell angesiedelte Hip Hop Community von Los Angeles, und es kommt zu ersten Zusammenarbeiten mit DJ Shadow, für den Cross das Video zu Midnight In A Perfect World aus dem hoch gelobten Debüt "Entroducing" dreht. In der wegweisenden Interpretation und Weiterentwicklung des HipHop, wie es Dj Shadow mit seiner Melange aus instrumentalen HipHop Stücken, Funk, Soul und Jazz gelingt, liegt auch das Interesse von Cross, der sich besonders mit der Geschichte eben dieser spezifischen Beats und Breaks beschäftigt.

Er konzipiert ein Projekt, in welchem er zunächst vier Persönlichkeiten aus der Musikgeschichte zusammenbringen und fotografieren, und im Anschluss mit ihnen über die - für die lokale Dj Szene - relevantesten ihrer Platten sprechen möchte; die vier Studio Schlagzeuger Roy Porter, Earl Palmer, Paul Humphrey und James Gadson. Sie spielten mit James Brown, John Coltrane, Marvin Gaye, Frank Zappa, Greatful Dead, Leonard Cohen und vielen Anderen bis hin zu De La Soul und Beck Hansen. In diesen ergrauten und dennoch juvenilen vier Herren spiegelt sich die gesamte Musikgeschichte der Nachkriegsära bis heute wieder, zumindest was die Rhythmusarbeit anbelangt, und damit die maßgebliche Inspirationsquelle für die heutige DJ Kultur.

"Music is a dialectical Memory Game. It is history with a heart beat."

Da sich das Arrangieren der Fotosession jedoch bis zum Jahr 2000 hinzieht, kann der 1997 verstorbene Roy Porter nicht mehr teilnehmen. keepintime Das Fotoshooting findet dennoch wie geplant statt. Den drei ehrwürdigen Schlagzeugern stehen drei kalifornische DJ’s gegenüber: Babu, J.Rocc und Cut Chemist. Old School trifft New School. Die wie Schätze gehüteten und verehrten Alben der Diskjockeys, allesamt Aufnahmen der anwesenden Schlagzeuger, werden aufgelegt und bearbeitet, und schon bald improvisieren Palmer, Humphrey und Gadsen live am Schlagzeug dazu. Ein homogener, organischer Rhythmus entsteht, wenn beispielsweise J.Rocc Cannonball Adderley über Gadson’s live Spiel cutted und somit Vergangenheit und Gegenwart auf unwiderstehliche Weise vermengt. Es kommt zu einer faszinierenden Art des Dialoges, und zu einem ersten, spontan gedrehten Video: Keepintime: Talking Drums And Whispering Vinyl. Das 13 minütige Video wird bei allen relevanten Film Festspielen auf allen Kontinenten vorgeführt und vom Publikum goutiert.

Aufgrund des Enthusiasmus aller Beteiligten, sollte die Geschichte hier jedoch noch nicht enden, vielmehr wird dieses Video den Stellenwert eines Trailers erlangen. Brian Cross geht noch einen Schritt weiter und organisiert am 29.12.2002 eine Live Show in Los Angeles, bei welcher neben den beiden Schlagzeugern Paul Humphrey und James Gadsen, dem Percussionisten Fred Walker und den bereits involvierten DJ’s noch drei weitere Turntablists und Producers, wie NuMark von Jurassic 5 teilnehmen, und das renommierte El Rey Theater mit weit über 1100 Gästen restlos ausverkaufen. Die Künstler bewegen sich an diesem Abend für zwei Stunden auf genau jener diskursiven Ebene, wie gut zwei Jahre zuvor in dem kleinen Fotostudio und werden zu Recht von einer ausgelassenen Menge frenetisch gefeiert. Das Zusammenspiel zwischen den erfahrenen Schlagzeugern auf der einen, und den Scratches und Cuts der Turntablists auf der anderen Seite ist ein beeindruckendes, perfekt getimtes Klangkunstwerk, welches in seiner umfangreichen Gesamtheit kaum Vergleiche findet. Faszinierend und fesselnd zu beobachten, wie die unterschiedlichen Generationen aufeinander treffen, Raum und Zeit manipuliert werden.
Und auch an dieser Stelle soll die Geschichte von Keepintime noch kein vorzeitiges Ende finden, denn nachdem nun eine Aufnahme geschaffen wurde, Material welches weiter bearbeitet und im Sinne des HipHop recycled werden kann, soll diese den Weg zu 12 weiteren Plattenspielern finden, unter deren Nutzern sich Cross’ Weggefährte DJ Shadow sowie namhafte Produzenten wie Cut Chemist, J.Rocc und Daedelus befinden. Abermals wird Zeit und Raum manipuliert, abermals wird mit der Geschichte gespielt und insgesamt 13 Stücke produziert, welche den Geist der Session atmen und unter denen besonders King Britt’s zehn minütiges Break Epos und Shadow’s Roy’s Theme hervorzuheben sind.

Die Dokumentation "Keepintime: A Live Recording" umfasst sowohl die CD mit den Mixen, als auch eine DVD, welche neben der riesigen Show auch den original Film "Talking Drums And Whispering Vinyl" sowie Brian Cross’ Video zu Midnight In A Perfect World und viele weitere Specials enthält. Mit ihrer gesamten Gewichtung und hintergründigen, liebevollen Diskussion der Geschichte des Rhythmus bewegt sich Keepintime weit über die vorliegende Summe der einzelnen Teile dieses Projektes hinaus. Und die Begeisterung nimmt noch immer keinen Abriss. So ist bereits ein weiteres Projekt in der Realisation begriffen, welches sich unter dem Namen "Brasilintime" den Latin Jazz Einflüssen widmet und ebenfalls ein viel versprechendes Aufgebot an Mitwirkenden aufzuweisen hat.

"Rhythm is a way to transmit a description of experience in an emotional and not abstract way. It is more than a metaphor. It is a physical experience as real as any other."
foto: mochilla


keepintime
[a live recording]
mochilla / ninja tunes 2005 cd / lp / dvd
keepintime

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The Robocop Kraus

Mit ihrem neuen Album haben sich The Robocop Kraus in neue Gefilde begeben. Ein namhafter Produzent und ein neues Label an Bord, ist es Zeit abzuheben? Oder folgt nicht doch einfach nur ein Schritt zwangsläufig auf den anderen?


"wir machen das jetzt schon so viele jahre, wir sind fast wie ein altes ehepaar."
(tobias helmlinger)


Mit dem Namen Epitaph verbindet man in erster Linie amerikanische Punk Legenden wie Bad Religion und die Vandals oder die schwedischen Melodycore Skater von Millencolin. In den letzten Jahren schlichen sich noch weitere europäische Künstler wie die Berliner Beatsteaks in das Rooster, insbesondere öffnete sich das Label auch Künstlern mit einem weniger punk-affinen Hintergrund. Zuletzt übernahm Epitaph gar die Veröffentlichung der letzten beiden Studioalben von Nick Cave in den USA.

Nichtsdestotrotz war es eine Überraschung, als The Robocop Kraus im April diesen Jahres mit der Meldung aufwarteten, ihr neues Album "They Think They Are The Robocop Kraus" werde zwar wieder von L’age D’Or, diesmal aber in Zusammenarbeit mit Epitaph veröffentlicht werden. Konkret bedeutete dies eine weltweite Veröffentlichung und so kam das Album rund 3 Monate nach dem Start in Deutschland auch in Europa und Übersee auf den Markt.

The Robocop Kraus gehen konsequent ihren Weg nach oben. Vorgestern noch ausschließlich auf Bühnen der Jugendzentren dieses Landes, gestern bei L’Age D’Or gesignt und nun wird die große weite Welt erobert. Längst sind sie zu Lieblingen der deutschen Musikpresse erwachsen. Selbstverständlich steigt damit auch der Erwartungsdruck, doch scheinen die fünf Nürnberger zu wissen, worauf sie sich eingelassen haben: „Das Signing bei Epitaph war ein sehr bewusster Schritt. Wir wollen ja, dass die Band wieder ein Stück nach vorne geht, dass es nicht nur musikalisch, sondern auch in der Entwicklung des Umfelds vorangeht. Wir haben alle keine Dayjobs mehr, machen im Moment nur noch die Band. Der Erwartungsdruck kommt eben nicht nur von außen, es ist auch unser Anliegen. Aber wir werden deshalb auch nicht größenwahnsinnig oder völlig überfordert.“ Doch die wesentlichen Veränderungen begannen nicht erst beim Studioaufenthalt oder der Veröffentlichung, denn Drummer Johannes Uschalt zog sich aus privaten Gründen zurück. Für ihn wurde Hans Christian Fuss, der ansonsten bei Hidalgo die Stöcke schwingt, als neues Bandmitglied verpflichtet. „Wir hatten unglaublich viel Glück, mit Hans hat es von Anfang an gepasst. Es hätte uns möglicherweise ziemlich zurückgeworfen, wenn der Wechsel zu einem anderen Zeitpunkt geschehen wäre.

Aufgenommen wurde schließlich in den legendären Gröndahl Studios in Stockholm, größer könnte der Unterschied zu Bietigheim-Bissingen, wo die letzte Platte aufgenommen wurde, kaum sein. „Wir sind zum ersten Mal wirklich weggefahren, um uns ausschließlich auf die Platte zu konzentrieren. Allerdings haben wir auch diesmal die Songs bereits im Proberaum geschrieben und in weiten Teilen arrangiert, sind also mit relativ ausgearbeiteten Stücken ins Studio gegangen. Es war dann auch ein sehr gutes Gefühl, mit der fertigen Platte nach Hause zu fahren.

Mit Pelle Gunnerfeldt war dazu ein großer Fisch aus dem Produzententeich gezogen worden, der bereits mit Bands wie den Hives oder Hellacopters zusammenarbeitete. War da nicht zu erwarten, dass er den Sound einer Band von regionalem Status in ein komplett neues Gewand kleiden würde? „In den ersten Tagen sprach Pelle so gut wie kein Wort. Zunächst waren wir sehr irritiert, bis er meinte, ihm gefielen unsere Arrangements und er wolle nichts daran ändern, weil sein Respekt davor zu groß wäre. Das war ein riesengroßes Kompliment und wir waren erstmal total platt. Eigentlich hatten wir ja gerade einen Produzenten gewollt, der uns kräftig reinredet und einen eigenen Stil einbringt. Aber letztendlich war die Zusammenarbeit mit Pelle super und für uns in mancherlei Hinsicht sehr hilfreich.

Produzentenschwergewicht hin oder her, der Sound von Robocop Kraus hat sich stark weiterentwickelt. Die Hardcore-Wurzeln sind zwar noch erkennbar, doch die Songstrukturen sind kompakter und minimalistischer geworden, die Stücke wirken weit weniger überladen und vollgepackt mit verschiedenen Ideen. Ein Zufall, bewusste Veränderung oder hat nicht doch der Produzent eine entscheidende Rolle gespielt? „Nein, es war ein sehr bewusster Prozess. Wir wollten das Album deutlich entschlacken und stärker kontrollieren, darüber waren wir uns bereits im Proberaum im Klaren. Noch so eine Platte wie die Tiger wäre einfach nicht gegangen. Die Living With Other People hat das ja schon angedeutet, die Songs waren stoischer, aber teilweise immer noch überladen und einfach durchgeknallt. Man entwickelt sich einfach weiter und wird auch ein wenig relaxter.

Kehrt bei den Robocops also mit dem Alter auch die Ruhe ein? Ungewöhnlich wäre das nicht, erlebt man das ja schließlich bei den verschiedensten Bands, mögen sie nun Tocotronic oder Dawnbreed/Monochrome heißen. „Es gibt wenige Bands die sich andersherum entwickelt haben. Es ist einfach so passiert. Vielleicht liegt das am Alter, aber Alter geht ja auch immer Hand in Hand mit Entwicklung. Das ist ja auch wichtig für einen Songwriter, dass man nicht stehen bleibt und irgendwann so klingt, als sei die Zeit stehen geblieben. Diese Spielweise, immer auf die 12, jeder spielt so laut und heftig wie er kann, die verliert sich irgendwann. Wir machen das jetzt schon so viele Jahre, wir sind fast wie ein altes Ehepaar. Ich glaube seit 12 oder 13 Jahren machen wir gemeinsam Musik. Da geht einfach nichts ohne eine konstante Entwicklung.
foto: uta bohls


the robocop kraus

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Jeph Jacques [Questionable Content]

Gut geführte Dialoge, Feingefühl für unaufdringlich gesetzte Pointen, eine charmante Auswahl an empfohlener Musik und liebenswerte Charaktere machen Jeph Jacques Webcomic zu einer obligaten Empfehlung. "Fragwürdig" bleibt dabei eigentlich kaum etwas.



"hey, i like the killers! - sshh, don't say that aloud! they might hear you and make another terrible album!""
(raven und faye)


Über die amerikanische Sitcom Seinfeld sagte man einst, dass es dabei eigentlich um nichts gehe. "The show about nothing". Alltägliche Probleme, so trivial und unspektakulär, wie sie spannend sind. Drei Männer, eine Frau. Nichts Besonderes. Und doch übte die Serie einen gewissen Reiz auf die Zuschauer aus. Heute wird sie gern herangezogen um die ironische und egozentrische Kultur der Neunziger darzustellen. Vielleicht auch deshalb – da müssen wir uns nichts vormachen - weil sich das eigene Leben oft auch mehr um die Nichtig- als die Wichtigkeiten dreht. Identitätsstiftend mögen die Einen sagen. Eher das Gegenteil die Anderen. Im Endeffekt spielt es aber keine Rolle. Transportiert man dieses „nichts Besondere“ der Alltäglichkeiten von New York an einen fiktiven Ort, macht aus den Yuppies und Freaks junge Erwachsene, vertauscht die serienintern diskutierten Themen von Großstadtfrust und gesellschaftlicher Konventionen mit Musikleidenschaft und Zynismus und letztlich Kamera und Beleuchtung mit Stift und Farbe, ist man längst nicht bei "Questionable Content" angelangt, aber vielleicht auf einem guten Weg dorthin.

Der vierundzwanzig Jährige Jeph Jacques hat eine der besseren – um bei diesem Genre übergreifenden Terminus zu bleiben – Sitcoms erschaffen und setzt diese überzeugend in Form eines Webcomic um. In den vier Panels jeder Ausgabe geht es um Wortspiele, Kaffee, Erwachsen werden, Beziehungen, Alltäglichkeiten und eine Vielzahl von Referenzen und geführten Diskussionen über Bands, von dessen bestehen man bis dato oft nichts ahnte.

Die Erzählstruktur funktioniert dabei auf einer Ebene, bei welcher man die Pointe auch dann versteht, wenn man sich eine Folge wahllos herausgreift. Und selbst dann, wenn man nicht Popmusik studiert hat. Andererseits ist es eine nette Zugabe wenn man bemerkt, dass dort ein Zitat von Pavement stammt. Oder den Archers Of Loaf. Stilsicher bewegt sich der junge Zeichner, der sich seit seinen Anfängen im August 2003 sowohl künstlerisch als auch erzählerisch explosionsartig entwickelte, auf hohem Niveau mit einem ausgeprägten Feinsinn für subtilen Humor und sich langsam entwickelnden, unaufdringlichen Running Gags.

Im Kern geht es um Marten, einem Indie Nerd Anfang Zwanzig, der mit der gut aussehenden und äußerst smarten Faye in einem Appartement lebt. Die Beziehung zwischen den beiden scheint stets in der Schwebe zwischen intensiver Freundschaft und intimen Näher kommen. Dora, die exzentrische und äußerst sarkastische Besitzerin eines stylischen Cafés – dem Coffee of Doom – ist gleichzeitig Fayes Chefin, als auch die obligatorisch dritte Person in dieser Dreiecksgeschichte. Den Bruch zur Realität stellt die Figur von Pintsize dar, einem "AnthroPC" – irgendwo zwischen Futuramas Bender und einem iPod mit dem Feingefühl von Alf – der so überdreht unrealistisch erscheint, als würde er aus einem anderen Comic stammen und sich doch sehr passend in die Geschichte einreiht. Die Eigenheiten und Wesenszüge der Charaktere und deren Bewältigung besagter Alltagssituationen lassen diese zu zentralen Elementen der jeweiligen Folge werden.

Die Assoziation mit einer Fernseh Sitcom kommt nicht von ungefähr; die Geschichten spielen an wenigen, unterschiedlichen Settings, wie dem Appartement oder Café, an denen bestimmte Perspektiven, wie Kameraeinstellungen eingenommen werden. Auch der Verlauf der Geschichte ähnelt einer solchen Produktion. "'QC' hat einen übergeordneten, inhaltlichen Rahmen, in dem ich bei den Details und Entwicklungen aber sehr flexibel arbeiten kann", beschreibt Jeph seine Struktur. "Das ganze wächst mit der Zeit, die Charaktere entwickeln sich und gewinnen an Dimensionen. Als ich mit dem Comic begann, sollte er eigentlich maßgeblich von Marten und Pintsize handeln, aber dann tauchte plötzlich Faye auf, und Dora, und jetzt habe ich diese beträchtliche Anzahl an Personen, die alle in meinem Kopf herumgeistern."

Jeph lebt in Northampton, Massachusetts, im Nordosten der Vereinigten Staaten und hat eigentlich einen Bachelor Abschluss in Musik. "Ich habe dieses Bedürfnis etwas Kreatives zu machen", erklärt er den Grund seiner jetzigen Tätigkeit. "Ich habe mal in einer Band gespielt, aber ich mag es nicht, abhängig von den Gewohnheiten anderer zu sein. Außerdem habe ich eine Zwangsneurose und da tut mir die kontinuierliche und geordnete Arbeitsweise bei meinem Comic sehr zu Gute." Ein erlesener Musikgeschmack spiegelt sich dennoch wie bereits erwähnt in seinem Comic wider (und auch in seiner anderen Arbeit, "Indietits", einem Comic über Vögel, die über Musik lästern). "In der Zeit die ich damit verbringe QC zu gestalten, höre ich die meiste Musik. Es läuft ständig etwas in iTunes, manchmal inspiriert mich die Musik sogar zu einer Episode". Im Augenblick seien dies maßgeblich "Return To The Sea" von den Islands und das Mogwai Album "Mr. Beast" ("it’s fuckin' awesome"), schildert er und erwähnt, dass er derzeit auch Geschmack an deutschen Produktionen gefunden hat. "A lot of weird German house music", erwähnt er, sowie Allen Allien und Notwist.

Um sich finanziell über Wasser zu halten setzte er einen Wunsch der Leser irgendwann in die Tat um: über seine Seite kann man die kurios bedruckten Shirts der Charaktere in kleinster Auflage und handverpackt bestellen und ein Statement in der Öffentlichkeit abgeben. TEH steht dann zum Beispiel darauf, , Music + Science = Sexy oder die grimmig drein schauenden Konturen eines Bärengesichts. Nach Sell-Out riecht das hier aber keines Falls. "Questionable Content" ist ein hell leuchtender Punkt am Horizont der unendlich großen Zahl an mehr oder minder ambitionierten Web Comics. Es geht um nichts Besonderes. Dinge geschehen hier und da ohne großes Aufsehen. Der wohl dosierte, smarte Humor neigt ob seiner Fülle an Querverweisen mehr zum verständigen Lächeln als zum großflächig angelegten Lachanfall, und keiner der Charaktere ist reizüberflutend genug, um im Vordergrund schlecht aufzufallen. "QC" ist ein Comic, der einen nicht auf Anhieb polternd und unumgänglich überzeugen muss, aber durch sein zurückhaltendes Auftreten mit der Zeit abhängig machen kann. "The comic about nothing", könnte man sagen, jedoch nicht abwertend, sondern ähnlich fasziniert erwartend wie bei Seinfeld.
foto: questionable content #482


jeph jacques
"questionable content"
webcomic
montag bis freitags, seit august 2003

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Haldern Pop [Rees-Haldern, 05.-06.08.2005]

Auch wenn das Wetter nicht mitspielte: Ausverkauft!
Kaum ein Wort fiel im Vorfeld des 22. Haldern Pop Festivals so häufig, kaum ein Wort könnte Veranstalterherzen höher schlagen lassen und Vorfreude und Träume so vieler Erwerbswilligen platzen lassen.


"you've got such a nice festival here."
(moneybrother)

Bereits Mitte Juni waren die 5500 Karten restlos vergriffen, sieht man einmal von diversen Verlosungsaktionen ab. Doch bei diesem Line-Up verwunderte es nicht, hatten sich doch schließlich Bands wie Franz Ferdinand, Mando Diao, Polyphonic Spree oder die Kaiser Chiefs für das diesjährige Haldern Pop angesagt.

Und so traf man noch am Freitag Nachmittag vor dem Festivalgelände Scharen von Ticketsuchenden an, die zunächst vergeblich ihre gemalten Pappdeckel in die Höhe hielten. Begonnen hatte das Programm bereits am Donnerstag Abend. Für die Frühanreisenden spielten drei Bands im kleinen aber feinen Spiegelzelt. Ebenfalls dort traten am Freitag und Samstag um die Mittagszeit jeweils zwei Nachwuchsbands auf, was für viele die einzige Gelegenheit bot, das Zelt auch einmal von innen zu sehen, wie sich später herausstellen sollte. Angenehm durchmischt zeigte sich das Publikum, dessen Altersspanne ungefähr zwischen 14 und 55 lag, darunter entfiel ein angenehm geringer Anteil auf das Klischee des klassischen Festivalprolls.

Veranstaltungen unter freiem Himmel bergen immer einen großen Unsicherheitsfaktor: das Wetter. Die Prognose für das Wochenende war überaus ungünstig und tatsächlich setzte pünktlich um 16 Uhr zu Millionaire, der ersten Band auf der Hauptbühne, strömender Regen ein. Während die Belgier vor einem noch recht überschaubaren Publikum spielten, wandelte sich vor dem Eingang das Bild auf einmal. Die Ticketsuchenden waren verschwunden, an ihre Stelle traten Kartenverkäufer, denen offenbar bereits mit den ersten Tropfen die Füße nass geworden waren. Gleichzeitig verwandelte sich das Festivalgelände in eine knöcheltiefe Schlammgrube, vor dem braunen Matsch gab es kein Entrinnen. Der Stimmung tat dies jedoch glücklicherweise kaum einen Abbruch, schließlich gab es auch früh den ersten kleinen Höhepunkt in dem hochkarätigen Line Up. Art Brut waren als kurzfristiger Ersatz von Ocean Colour Scene angetreten, doch sie waren weit mehr als nur das. Solch eine frische und engagierte Rock’n’Roll-Show hätten die einstigen Britpop-Heroen wohl kaum geboten.

Darauf folgten zwei Bands, die trotz einer gewissen Schnittmenge unterschiedlicher nicht sein könnten. The Robocop Kraus erfreuten wie so oft durch ihren natürlichen Charme, Entertainment ohne Rockstargehabe ist ihre große Stärke. Arrogantes Posing war dafür umso mehr Sache der Kaiser Chiefs, deren Überheblichkeit unwiderruflicher und notwendiger Teil ihrer Gesamterscheinung ist und genau deshalb so gut funktioniert. Der Lärmpegel in den vorderen Reihen nahm auf einmal mittels Kreischen rasant zu, der UK-Hype erreichte spätestens in diesem Moment auch das Haldern Pop. Auf der Bühne wurde einmal mehr deutlich, dass ihnen zumindest musikalisch ein ganz großer Popentwurf gelungen ist und auch der Regen endete ob dieses beeindruckenden Auftritts.

Schließlich riss der Himmel auf und färbte sich in tiefstem Rot, während Nada Surf ein recht gemächliches Set spielten. Dabei vermittelten sie den etwas bemitleidenswerten Eindruck eines Pausenfüllers, denn nach ihrem netten aber unauffälligen Set betrat das Kaizers Orchestra die Bühne. Bereits zum zweiten Mal in Haldern anwesend lieferten sie den mit Abstand bizarrsten Auftritt des Abends. Mit Sauerstoffmaske, Ölfässern und Akkordeon ausgestattet zogen die Norweger das Publikum in ihren Bann, ihre vertrackte Musik zwischen norwegischer Sprache, Rock’n’Roll und Klezmer wurde zudem von einer üppigen Light-Show wunderbar in Szene gesetzt.

So überzeugend die bisherigen Bands waren, so sehr enttäuschten Franz Ferdinand. Der Headliner des ersten Abends begann nicht nur mit reichlicher Verspätung, ihr Auftritt war schlicht und ergreifend langweilig. Zwar schienen sie bemüht, doch der Enthusiasmus fehlte. Neben Alex Kapranos’ vergleichsweise dünner Stimme wurde ebenfalls deutlich, wie limitiert die musikalischen Mittel der alten Stücke sind. Einziger Höhepunkt waren da die neuen Songs, die deutlich mehr Variabilität erkennen ließen. Doch selbst wenn der Auftritt mehr Spannung erzeugt hätte, in keinem Fall waren die dreisten Preise am Merchandising-Stand zu rechtfertigen. Denn 28 Euro für ein simples T-Shirt zu verlangen, ist nicht nur überzogen, sondern auch völlig stillos.

Zum Abschluss des Abends auf der Hauptbühne spielten die recht uninteressanten Saybia mit einer fast dreiviertelstündigen Verspätung, während fast gleichzeitig Zita Swoon im Spiegelzelt begannen. Dieses wunderschöne alte Zirkuszelt mit Holzverkleidung stand dieses Jahr bereits in Glastonbury und hatte von dort offensichtlich auch das Wetter mitgebracht. Noch ärgerlicher als dies war jedoch die Tatsache, dass das Fassungsvermögen sehr limitiert ist, und so entstand eine Schlange von hunderten von Menschen, die vergeblich um Einlass begehrten. Um 3 Uhr nachts vollführten dort schließlich British Sea Power nach eigener Aussage den Auftritt ihres Lebens. Diesmal ohne Laub und Geäst auf der Bühne spielten sie sich in einen Rausch, während dessen ein Karton voller Tulpenzwiebeln ins Publikum geworfen wurde und an dessen Abschluss eine kleine Zerstörungsorgie voller herrlich unsinniger Bühnenaktionen stand.

Wie der Freitag so begann auch der Samstag. Zwar ließ sich die Sonne am Vormittag noch blicken, doch als Saint Thomas die Bühne betraten, frischte es deutlich auf und die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Zu allem Überfluss hatten die Magic Numbers auch noch eine derart große Verspätung, dass ihr Auftritt kurzerhand ins Spiegelzelt verlegt wurde. Dieser fiel somit auf die gleiche Zeit wie der von The Coral, welche beschwingt durch ihr Set glitten und eine große Portion Vielseitigkeit bewiesen.

Mädchenherzen höherschlagen ließ im Anschluss Moneybrother, der auf sehr sympathische Art mit dem Publikum kommunizierte und das Festival außerordentlich lobte. Fast schon demütig bedankte er sich für den Publikumszuspruch. Während der anschließend spielenden The House of Love leerte sich das Festivalgelände schlagartig, was vermutlich auf Namen und mangelnde Bekanntheit zurückzuführen war. Das Publikum kehrte jedoch pünktlich zu Phoenix wieder zurück und erlebte so den vielleicht besten Act des Festivals. Deutlich gitarrenlastiger als auf ihren Tonträgern brachten sie selbst die letzten Reihen zu intensivem Mitwippen und Kopfnicken, und so ließ sich selbst die Sonne für kurze Zeit blicken.

Ebenfalls begeistern konnten Tocotronic, die ihre betont locker-unterkühlte Pose, welche sie zwischenzeitlich eingenommen hatten, beiseite gelegt haben. Auch die ganz alten Songs schienen keine ungeliebte aber notwendige Dreingabe mehr zu sein, die Band hat ein gesundes Verhältnis im Bezug zum Spielen aller ihrer Stücke gefunden zu haben. Bloß das endlose Feedback gegen Ende ihres Auftritts hätten sie sich sparen können, wie schon vor Jahren wirkte diese Aktion seltsam deplaziert.

Eine hohe Hürde galt es für Mando Diao zu überspringen, denn praktisch deren gesamtes Equipment schien am Flughafen stecken geblieben zu sein. Und so wurde flugs Ersatz organisiert, um den Auftritt zu retten. Zwischendurch hatte erneut heftiger Regen eingesetzt, doch der Moderator kündigte an, spätestens beim dritten Song würde das schlechte Wetter ein Ende haben. Und tatsächlich trat diese Prophezeiung bereits während dem zweiten Stück ein, während über der Masse vor der Bühne eine gewaltige Dampfwolke schwebte. Begeisterung allerorten über die Schweden, die ohne große Umschweife mächtig rockten.

Kontroverser fiel da der abschließende Auftritt von The Polyphonic Spree aus. 24 Menschen in himmelblauen Roben und orchestral anmutender Besetzung, die ganz offensichtlich die Sonne anbeten, wenn das mal nicht nach amerikanischer Hippie-Sekte klang. Manch einer nahm dabei die Aufmachung wohl zu ernst, denn diese strahlte allenfalls Fröhlichkeit und augenzwinkernde Querverweise aus. Musikalisch irgendwo zwischen Band und Musical zu verorten schlug dem Publikum geballte positive Energie entgegen, die zum ersten Mal in ihrer ganzen Weite gefüllte Bühne bot einen unglaublich lebendigen Anblick. Und so waren The Polyphonic Spree ein mehr als würdiger Abschluss für das Haldern Pop. Danach spielten nur noch Emiliana Torrini und Francoiz Breut im Spiegelzelt, vor dem erneut mehr Menschen warteten als es von innen sahen.

Bemerkenswert ist letztlich, wie wenig Schaden die Stimmung durch das Wetter genommen hat. Gutgelaunte Gesichter strahlten aus Regenjacken, Gummistiefeln und umfunktionierten Mülltüten, auch wenn selbst die Abfahrt so manchen mit dem Auto im Schlamm Festsitzenden auf eine harte Probe stellte.
foto: Uta Bohls


haldern pop

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The Polyphonic Spree [Together We're Heavy]

"Does anybody get pissed off when you mention the Polyphonic Spree to anyone and the first words out of the mouths are 'oh isn't that a cult band or something'?"
"Yeah, but people are dicks."
(Auszug aus einem Polyphonic Spree Forum)


"she said goodnight to all the lights that made her seem to glow."
(one man show)


Es werden vermutlich, als lukrative, eher weltliche Mitbringsel, unzählige Ebay Angebote mit dubiosen und vermutlich wenig originellen Papst Bezügen anfallen, wenn sich der Rummel um den Weltjugendtag in Köln wieder gelegt haben wird. Aus aller Welt feiern tausende Jugendliche den - bereits als Poster in der Bravo erschienenen - gehypten Papst Benedict XVI. frenetisch, was schon ein kleines Kuriosum darstellt. Ohne Zweifel würden die Texaner Polyphonic Spree in den Reihen der auftretenden christlichen Bands zunächst kaum auffallen.

Ich muss gestehen, dass ich nicht umher kam, eine religiöse Diskussion im Zusammenhang mit diesem Pop Ensemble zu führen, auf die ich eigentlich verzichten wollte. Tim DeLaughter, der 38 jährige Kopf der Band legt es aber auch definitiv darauf an, sich in ein religiöses, sektenhaftes Umfeld einreihen zu lassen. Bereits im ersten Stück der im Herbst 2004 veröffentlichten Platte "Together We’re Heavy" - die gerade mit einigen Bonustracks und Videos wiederveröffentlicht wird – spricht er bereits eindringlich über Religion. "Until tomorrow,until tomorrow, the only voice was far away / Until tomorrow, the only sound was my mistake / Until tomorrow it’s all I can say / Take the time to find the world another way / I wanna be more than yesterday and somehow find a way to this new religion."

Dieses sich selbst angreifbar machen üben Polyphonic Spree par excellence aus, in all ihren visuellen und akustischen Metaphern, weisen jedoch jegliche christlichen oder anders gearteten religiösen Bezüge klar von der Hand. Es geht mehr um eine musikalische Spiritualität, um ein Gemeinschaftsgefühl, um Etwas, an das man Glaubt, erklärte DeLaughter letzten Herbst in einem Interview dem Intro. Eine zunächst etwas verwirrende Begründung, die er da abliefert, aber tatsächlich sieht er in der Musik eine gewisse, dem Geist der Religion ganz ähnliche Komponente. In obigem Zitat aus dem Stück A Long Day Continues / We Sound Amazed bezieht sich DeLaughter genau auf diese Spiritualität, die er in seiner Musik sieht, welche jedoch nichts mit Religion als Solche zu tun haben will. Als '99 DeLaughters ehemalige Band Tripping Days daran zerbricht, dass der Gitarrist und DeLaughters Freund Wes Berggren an einer Überdosis stirbt, macht er eine Art Läuterung durch. Schon ein Jahr später entwickelte sich aus der enthusiastischen Idee heraus, Popmusik mit atemberaubenden Symphonien und tragenden Chorelementen zu versetzen, das Musikerensemble Polyphonic Spree. Damals zunächst mit 15 Mitgliedern, im Gegensatz zur aktuellen Besetzung von 23 Musikerinnen und Musikern.

Wenn hinter all dieser großen Inszenierung tatsächlich keine glaubensbedingten, sondern eher the polyphonic spree profan weltliche, musikalische Absichten liegen, darf man sich natürlich fragen, weshalb dann so bewusst mit diesen Stilmitteln gespielt wird. Die Bilder, auf denen die Musiker, allen voran DeLaughter durch die Wüste ziehen, die Glaube, Liebe, Hoffnung Metaphern – selbst wenn Ersteres nur vor einem musikalischen Hintergrund zu betrachten sein soll - das stark frequentierte Verwenden von Begriffen wie Faith, Shame, be good oder Sunshine, all das sind Aspekte, die man unwillkürlich mit den strahlenden und doch bedrängten Gesichtern von Jüngern unzähliger mal mehr mal weniger glaubhafter religiöser Vereinigungen assoziiert. Es seien einfach Menschen die seine Liebe zu diesem Sound teilen, erklärt er, und dass Chorgesänge eine euphorische Stimmung bei jedem Teilnehmenden hinterlassen, kann niemand von der Hand weisen, der jemals freiwillig in einem Chor gesungen hat.

Tim DeLaughter war gerade drei Jahre alt, als sich in den Vereinigten Staaten der Sunshine Pop etablierte, Hair aufgeführt wurde und Stücke wie Aquarius von 5th Dimension populär waren. Die Kindheit prägt, und so verwundert es auch nicht, dass die, in bunten Talaren tanzenden Mitglieder der Polyphonic Spree auch an eben diese Happenings erinnern. Es geht ihnen jedoch nicht um eine tatsächliche Kopie dieser Musik, "vielmehr soll das Gefühl, diese unglaublich positive Stimmung übertragen werden", erklärt DeLaughter im Interview mit Kollege Simon Traut. Und, ist man ehrlich, sind die hier vermittelten Werte, selbst wenn man sie als naiv abtun möchte, ein erfrischendes Pendant zur aktuellen Aggro-Ego-Welle.

Wie auch immer man jedoch zu den vorangestellten Eindrücken steht, dieses Pop Orchester, das so kongenial und euphorisch Keyboards, Bass, Gitarre, Schlagzeug, Percussion, Pauken, Flöte, Trompete, Violine, Theremin, Cello und nicht zuletzt den zehnköpfigen Chor in die Popsongs integriert, weiß diese überzeugende Stimmung weiterzugeben, und sein Publikum mitzureisen. Diese bombastische und oppulente Inszenierung der Popsongs, jeweils arrangiert um DeLaughters Gesang, unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von anderen, ebenso fulminanten Stücken diverser Bands in der Geschichte der Rock und Popmusik. Die Beach Boys und die Beatles, später Queen und die High Llamas, bis hin zu dem diesjährigen Trial Of Dead Album "Worlds Apart", haben die Bands Choräle, Bläser und Streicher nur für bestimmte Stücke, oder Konzepte von einzelnen Alben als musikalisches Stilmittel verwandt. Bei Polyphonic Spree hingegen sind sie unabdingbarer Bestandteil der Band, der sich zu einer überaus beeindruckenden, homogenen Darbietung vereint. Nicht zuletzt aufgrund ihrer imposanten Live Auftritte konnten sie in kürzester Zeit Konzertbesucher wie David Bowie für sich begeistern. Dieser holte die Band – beeindruckt von deren Interpretation seines Stückes Five Years - in die Heimat des Hype nach Groß Britannien zu seinem Meltdown Festival in London.

Die 23 Musikerinnen und Musiker spielen waghalsig mit musicalhaften Elementen, bedienen sich der Energie von Gospelchören und wissen es Spannungsbögen und Melodien zu einer einzigartigen Verbindung zu vervollkommnen. Was den Polyphonic Spree mit ihrem zweiten Album gelungen ist – ihr Debut "The Beginning Stages Of" wurde in Deutschland mit großer Verspätung veröffentlicht –, ist nicht weniger als ein imposantes, orchestral perfekt arrangiertes Popalbum, was nicht zuletzt durch das kreative zum Einsatzkommen eher Genre fremder Instrumente und den Akzente setzenden Chor besticht.
foto: sarahphotogirl



the polyphonic spree
"together we're heavy"
good records 2005 cd
the polyphonic spree

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