Franz Ferdinand [You Could Have It So Much Better]

"Ist es nicht superärgerlich, dass viele Bands bereits vor eurer Gründung eure Songs nachgespielt haben?", lautete eine der Fragen treffsicher, als das Intro seine Community an einem Franz Ferdinand Interview partizipieren lies.



"here we are at the transmission party. i love you're friends, they're all so arty."
(do you want to)


"Oh, natürlich kann ich Menschen verstehen, die Popmusik (und wenn ich dieses Wort benutze, beziehe ich Soul, Reggae, Country und Rock mit ein – eben alles, was man als Schund bezeichnen könnte) verachten. Ich weiß, dass sie oft, beinahe immer, billig, einfallslos, schlecht geschrieben, aalglatt produziert, hirnverbrannt, repetitiv und pubertär ist (obwohl man mindestens vier dieser Adjektive anführen könnte, um die unablässige Mäkelei an Pop zu beschreiben, die man immer noch im Feuilleton findet)." Mit diesen Worten weiß der britische Schriftsteller Nick Hornby in seinem Buch "31 Songs" treffend das ambivalente Verhältnis gegenüber den bittersüßen Begehren der Popmusik zu beschreiben. Selbstverständlich kommt er dennoch zu dem Schluss – und eben jenem kann ich mich nur anschließen – dass es eben trotz alledem Songs gibt, die einen nicht mehr loslassen; auch wenn der Verstand sie schnell entlarvt, ihre in gut drei Minuten komprimierte Magie entzaubert, aber das Herz anhält für sie zu schlagen, die Begeisterung nicht abklingt.

Analog der alles erdrutschartig verändernden Veröffentlichung der Strokes im Jahr 2001 - der Rettung und des auf dem Fuße folgenden Untergangs des Rock - drehten sich die Medien letztes Jahr immer wieder im Kreis um diese eine britische Band mit dem verwegenen Namen. Typisch Britisch mag man gedacht haben, als man das erste Mal mit dem Namen konfrontiert wurde. Kaum ein anderes Volk kommt mit dieser gelassenen Selbstverständlichkeit daher und wagt solche Bezügen, nur um sie dann auch noch als geschickten Kunstgriff vermarkten zu können.

Nur ein einziges Jahr ist vergangen seit dem sensationell gefeierten Debüt Album; nur ein Jahr, in welchem die Band pausenlos tourte, um zu der vorausschauenden Überlegung zu gelangen, das unentwegte Touren überraschend abzubrechen und sich direkt an den so gefürchteten Nachfolger zu begeben. "You Could Have It So Much Better", der Titel schon zwiespältig genug um ihn in die Eine – warum hast du nicht mehr dafür getan – oder die Andere Richtung – warum gibst du dich damit zufrieden – zu interpretieren. Wo sich die angesprochenen Strokes bei ihrem zweiten Album in Beliebigkeit verloren, machen Franz Ferdinand bei ihrem neuen Werk alles so erwartungsgemäß richtig, dass es überrascht. Zwischen Stagnation und Entwicklungsdrang gelingt es ihnen ihren Wiedererkennungswert enorm zu steigern, und dennoch dem Hörer kein zweites "Franz Ferdinand" zu präsentieren.

So ruppig wie die ersten Gitarren Klänge auf der Platte beginnen, hat die Band noch nie geklungen. Dennoch kann man sich selbst schon kurze Zeit später beobachten, wie der Fuß wippt und der Kopf nickt, wenn sich die gewohnten Four-To-The-Floor Rhythmen ausbreiten und Kapranos lakonisch die Melodie mit einem Lalala Gesang weiterführt. Auf wabernden Bass und minimalistisches Schlagzeug reduziert, wähnt man sich für Momente in einem dreckigen White Stripes Stück (Evil And A Heathen), nur um kurze Zeit später verspielte, pianobegleitete, mehrstimmige Popmelodien auf den Spuren von Lennon/McCartney zu entdecken (Eleanor Put Your Boots On) und ohne Ankündigung von Spaghettiwestern Anleihen überrascht zu werden. Der Glamour der späten Queen blitzt kurz auf (Fade Together) und eine spacige Bowie Orgel schmiegt sich kantig ins Ohr (Outsiders). Aber dies sind Alles nur Spitzen, nur kleine Verfeinerungen, welche die Musik der Band auffrischen und ihr Gespür für eingängige Popmelodien detailverliebt bereichern. Auf gewiefte Art bezieht man unzählige Querverweise in den schon jetzt typischen Franz Ferdinand Sound ein, verändert ad hoc Tempo und Rhythmus und gaukelt dem geneigten Zuhörer ein bequemes Gefühl der Gewohnheit vor; als würde man ein nie betretenes Haus besuchen, sich aber doch in jedem Raum zurechtfinden, weil es der gleiche Architekt plante, der auch für die eigenen vier Wände verantwortlich war. Besonders die von Piano und Akustikgitarre getragenen Stücke wie erwähntes Eleanor Put Your Boots On überraschen mit einer neuen Spielweise, die man von ihrem Debüt ausgehend nicht erwartet hatte, die musikalische Vielfältigkeit der Band jedoch unterstreichen: auch wenn sie für die erste Single Do You Want To - inklusive Anspielung auf Kylie Minouges I Sould Be So Lucky - fast gänzlich auf Strophen verzichten und mit refrainlastigen Songstrukturen im oberflächlichen Dancefloor zu wildern scheinen.

Die von Kollege Simon Traut auf dem diesjährigen Haldern Pop entlarvte limitierte Musikalität der alten Stücke auf der Bühne scheint zumindest auf Platte erneut einem frischen Enthusiasmus gewichen. Nach zahllosen Klatsch und Tratsch Nachrichten und dem Einzug in die Feuilletons der Tageszeitungen kehren die vier Briten mit ihrem zweiten Studioalbum zurück, nur um klarzustellen, dass sie selbst die Grand Seniors eines Genres sind, dass sich seit letztem Jahr mit fadenscheinigen Kopien und halbherzigen Trittbrettfahrern füllt. Mit "You Could Have It So Much Better" spielen Franz Ferdinand erneut bisweilen kantigen PopRock in Konzert mit respektloser Nonchalance und einem ironischen Umgang mit der Kurzlebigkeit der Popmusik. Und sie stellen klar, dass es erneut ihr angestrebtes Ziel ist, Musik zu machen, "zu der Mädchen tanzen sollen".

Hornby erwägt nur wenige Seiten nach den anfangs zitierten Sätzen den Gedanken, dass "der Wegwerfcharakter von Popmusik ein Zeichen für ihre Reife, für das Wissen um die eigene Begrenztheit, und nicht umgekehrt" ist. Mit diesem Ansatz möchte man auskommen.
foto: marius hansen


franz ferdinand
"you could have it so much better"
domino 2005 cd / lp
franz ferdinand

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Saint Etienne [Tales From Turnpike House]

Geschichten vom Turnpike Haus.
Die Briten mit dem glamourösen französischen Namen Saint Etienne konzeptionalisieren ein Album mit Geschichten einer Wohnhausgemeinschaft mit sommerlicher Leichtigkeit.


"let's have some fun tonight."
(stars above us)


Das Leben findet in Jahreszyklen statt, jeder Mensch unterwirft sich dem Takt der Natur und wenn nicht, so zwingt ihn sein soziales Umfeld dazu. Im Winter muss man es sich vor dem imaginären Kamin bequem machen, Schlittschuhlaufen gehen und Weihnachten feiern. Im Sommer hat man dem Sonnenschein entsprechend Fröhlichkeit auszustrahlen, man geht Eis essen, fährt an den Badesee und macht wahlweise Urlaub auf Mallorca oder an der Ostsee. Ein ebenso jährlich wiederkehrendes Phänomen ist die Frage nach der Sommerplatte des Jahres. Sie wird überall und quer durch alle musikalischen Schichten gestellt, ob als Marketinginstrument bei Prosieben oder als Geschmacksbarometer im Intro-Forum.

Seltsam abgeschmackt erscheint diese Schublade, in die alles gesteckt wird, was entweder zur besten Reisezeit des Jahres im Ballermann 6 das größte Mitsingpotential entfaltet oder das andererseits an Sommertagen das eigene Herz in die richtige Stimmung für einen Tag im Park versetzt.

Dennoch oder gerade deshalb ist "Tales from Turnpike House", die aktuelle Veröffentlichung der Briten von Saint Etienne, ein Album für den Sommer, ein unbestimmter Artikel statt Totalität, ein Ausschnitt statt allumfassend. Ein Konzeptalbum mit einem inhaltlichen Grundgerüst, das ebenso schlicht wie ungewöhnlich erscheint: Ein einzelner Tag in einem Wohnblock namens Turnpike House wird beschrieben, dessen Bewohner in einem gemeinsamen sozialen Interaktionsprozess stehen. Bereits das wunderschön gezeichnete Cover von Laura Finley führt in den Mikrokosmos Turnpike House ein, eine aufgeschnittene Seite des Wohnblocks offenbart die Menschen in ihrer privaten Alltagsexistenz der eigenen vier Wände. Saint Etienne vertonen Alltagserlebnisse im Tagesablauf, die mit Sun In My Morning beginnen und mit Goodnight enden, sie werden in einem großen Bogen gespannt und zusammengefasst. Dabei werden einzelne Charaktere wie Doris Brown oder Gary Stead geformt, die immer wieder im Verlaufe des Albums respektive des Tages aufgegriffen werden.

Solch ein Konzept birgt die Gefahr, dass die Musik sich dem Diktat der inhaltlichen Ausgestaltung unterwerfen muss, doch Saint Etienne gelingt eine herrliche Symbiose beider Aspekte. Herausragendes Verbindungsglied ist dabei die Stimme von Sarah Cracknell, die den Klang von Saint Etienne entscheidend prägt. Sanft, unaufdringlich und dennoch einzigartig einnehmend gibt sie der Musik von Bob Stanley und Pete Wiggs Charakter und hebt sie aus der gleichgültigen Beliebigkeit von durchschnittlicher Loungemusik heraus.

Dabei ist ihr Sound sehr glatt, manchmal etwas zu sehr, es gibt keine Ecken und Kanten an denen man sich stoßen könnte. Bei Songs wie Milk Bottle Symphony oder Teenage Winter wird Pop groß geschrieben, der Klang ist von intensivster Reinheit. Das Songwriting klingt streckenweise Sixties-inspiriert und die Gitarren entfalten sich zurückhaltend, eingebettet in sanfte elektronischen Beats. Die dezente glamouröse Note, die dem typischen Saint Etienne-Sound innewohnt, erhält in Relocate eine besondere Betonung durch das Duett mit David Essex, der ein wenig an vergangene Zeiten erinnert. Saint Etienne aber inszenieren ihre Musik zeitlos schön. Zu zeitlos, um sie einem bestimmten Sommer zuzuordnen. Es ist elegischer Pop, der sich subtil im Bewusstsein festsetzt und dort seine ganze Kraft entfaltet ohne aufdringlich zu sein oder gar in Hektik zu verfallen. Es ist Musik, welche die Sonne aufgehen lassen kann. Und wenn die Sonne untergeht, bleibt zumindest ein klarer Sternenhimmel zurück.
foto: saintetienne.com



saint etienne
"tales from turnpike house"
sanctuary records 2005 cd / lp
saint etienne

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Ani DiFranco [Knuckle Down]

Strewn with half written songs.
Ani DiFranco findet den Weg aus ihrer Einigelung und präsentiert uns ein Album, dass wärmer und zugänglicher nicht hätte sein können.



"we took each other higher, we set each other free."
(modulation)


Studenten haben ja irgendwie oft mit dem Vorurteil zu kämpfen, faul zu sein und in den Tag hinein zu leben. Umso erstaunter tun demnach Außenstehende, wenn man sich – sei es wegen einer Prüfung oder aus innerer Einsicht – plötzlich hinsetzt und anfängt sich energisch der Arbeit zu widmen. Sich in etwas hineinknien, plötzlich anfangen hart zu arbeiten, genau das bedeutet "to knuckle down". Doch in welchem Zusammenhang steht dieser Ausdruck zu Ani DiFranco? Als besonders arbeitsfaul kann man die Sängerin/Songwriterin ja nun wirklich nicht bezeichen, veröffentlicht sie doch in jährlichem Abstand ein Album nach dem anderen. Sie hat es also eigentlich gar nicht nötig, sich so richtig in Arbeit zu knien. Anscheind tut sie es trotzdem. Ani scheint vor unendlichen Ideen nur so zu blühen, erfreulich für alle Liebhaber ihrer Musik, zu denen ich mich zähle.

"vehement romantic / frantic for forever right now"

Die Vorfreude auf ihr neues Werk war schon lange da, und so ist es umso schöner, das neues Album endlich in den Händen zu halten. Schön, denkt man sich auch schon, bevor überhaupt ein Ton erklungen ist. Gleich lässt das liebevolle Design des gewohnten Pappcovers das Herz höher schlagen. Zum Lächeln bringt einen sofort das wunderschöne Foto auf dem Cover, und lächeln lässt einen auch das hübsche kleine Booklet in der Innenseite. Doch eigentlich liegt der Hauptaugenmerk ja nicht auf dem Cover, sie sind nur die hübschen Augen hinter denen man in die Tiefe blickt.

Gespannt lausche ich den ersten Tönen und bin entzückt; vertraut und mitreißend klingt das, was meine Ohren zu hören bekommen, typisch Ani und doch wieder so neu. Knuckle Down, Titellied und Opener der Platte hätte besser nicht sein können.

Im Kontrast zum Vorgängeralbum "Educated Guess", welches ausschließlich von Ani DiFranco selbst eingespielt und produziert wurde, weist "Knuckle Down" eine Vielzahl von Mitmusikern auf, über den Kontrabassisten Todd Sickafoose, den man schon neben Ani auf der kürzlich erschienener Dvd "Trust" bewundern durfte, zu Gastmusikern wie etwa Tony Scherr an der E-Gitarre und Andrew Bird, bei dem man neben Violine und Glockenspiel überrascht über das Wörtchen Pfeifen stolpert. Und auch zum Produzieren hat sich Ani diesmal Hilfe geholt und den Singer/Songwriter Joe Henry eingeladen.

Einigen Liebhabern Ani Difrancos mag dieses Vorgehen als ein Rückschritt erscheinen; es ist weniger die "pure Ani", wie man sie auf dem Vorgänger kannte, den sie allein mit sich selbst eingespielt und produziert hatte. Doch "she’s trying to evolve": Ani steht nie still und versucht beharrlich, sich weiterzuentwickeln. Der Rückschritt liegt wohl im Stehenbleiben, und das tut sie mit "Knuckle Down" nicht. Vielmehr ergänzen sich Ani und ihre Gäste in einer angenehmen Symbiose. So sind es gerade solche Kleinigkeiten wie das Pfeifen als Soloinstrument in Manhole, welche den besonderen Charakter der Platte ausmachen. Und die wunderschöne Sologitarre in Sunday Morning hätte vermutlich auch die Meisterin an der Gitarre selbst nicht besser einspielen können.

"course, you're the kind of guy who doesn't lie / he just doctors everything"

Wie bereits so oft singt Ani in ihren neuen Songs von Zwischenmenschlichkeit und den Problemen, die diese aufwirft, von Liebe und dem Abhandenkommen selbiger, von Familie und Alltag. Meist sind es Beobachtungen und Erlebnisse, welche sie geschickt und treffend in einfühlsame Texte umwandelt.

"you cried and you cried an you cried wolf / so it took me a minute to understand / that you really were hurt bad"

Anis Songs so authentisch und so persönlich,dass man mit der Zeit das Gefühl bekommt, sie ein Stück weit zu kennen, als hätte sie uns einen Teil ihrerselbst geschenkt. Und das tut sie sicherlich auch mit ihrer Musik. In Sunday Morning folgen wir in eine ganz persönliche, traurig-schöne Welt eines Sonntagmorgens und lernen, dass nicht alles immer so rosig ist, wie es vielleicht erscheint. Doch auch ihre politische Ader lässt Ani nicht ruhen und besingt in Paradigm auf ihre inidividuelle Art und Weise ihre Erfahrungen mit der Demokratie.

"if you should happen to see my light / you can stop and ring my bell / i'm just sittin here in this sty / strewn with half written songs / taking one breath at a time / nothin much going on"

Mit dem wunderschönen Recoil offenbart sich abschließend ein fühlbares Bild, welches man sich von der Künstlerin machen kann. Ani ist eben auch nur ein Mensch, und zu gerne würde man in diesem Moment bei ihr vorbeischauen und sie von ihrer Einsamkeit befreien.
Stattdessen wünscht man sich, dass die "half written songs" doch bald ganze würden und wartet bedächtig darauf, dass Ani sich bald erneut in diese hinein kniet.
foto: chris strong



ani difranco
"knuckle down"
righteous babe records 2005 cd
ani difranco

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Lada [Invitation]

Lada wollen Menschen zu sich einladen.
Einladen, damit sie ihre Musik hören und teilen können. Damit sie tanzen und schlafen können. Damit sie hören und zufrieden sind, mit den 3 Zutaten, die sie für am wichtigsten befinden.


"i softly comfort you, i slowly slip into."
(ghost of summer)

"3 Rocker, eine Kiste Bier und ein kurzer Studioaufenthalt." So werden auf der Lada Homepage die drei nötigsten Zutaten für ihr Album "Invitaion" beschrieben. Hinzu kommen wohl ein paar Tee-, nein, Esslöffel zuviel Allerweltsstimme und Image-Getue, gemischt mit einem Schuss zuviel Wiederholung in den Texten.

Den drei Musikherren, die schon seit fünf Jahren gemeinsam ihr Kind Lada schaukeln, möchte man am liebsten eine Schüssel voll mit Worten vor die Haustüre stellen, klingeln und weglaufen. In der Hoffnung, dass sie das nächste mal mehr Herz hineingießen. Denn es erinnern einige Zeilen an Lieder und Texte, die man schon mal gehört und gelesen hat. Sie sind beinahe ohne jegliches Gewürz, dass für die Geschmacksnerven stimulierend wirkt. Mit mehr Abwechselung und ohne Sätze, wie "You are here, I am there" aus dem Lied Invitation. Das tut einem beinahe im Herzen, im Auge und in den Ohren weh. Fast so wie mir manchmal die Stimme des Sängers Christian Opitz im Ohr schmerzt. Seine Stimme klingt zu aufdringlich. Sie erinnert an eine Schulband, die einfach irgendeinen Sänger brauchte, damit ein wenig Gesang in die Bande hineinfließt. Opitz’ Gesang wirkt noch so unbeholfen, wie die eines kleinen Jungen, der in den Stimmbruch gerät und nicht weiß, ob er nun tief oder hell sprechen soll.

Anders gefällt mir die Gitarre von ihm sehr gut. Die Melodien sind einfach fantastisch und zerren einen beinahe zu Boden. Ebenso wie die Schlagzeugrhythmen von Harald Pötschke und das Bassgezupfe von Michael Wagner. Besonders bei Velveteen. Da liege ich schon auf dem rauen Asphalt in einer dunklen Gasse und kann einfach nicht mehr aufstehen. Die Beine schlottern, die Knie zittern. Das Herz schlägt und die Stimme verstummt. Das Ohr kann einfach nicht mehr aufhören zuzuhören und lässt die Melodie und den Refrain einfach nicht gehen. Ähnlich wie bei Lullaby. Der Titel trifft es wohl am Besten.

Es ist ruhiger als alle anderen Lieder, die kaum in Abwechselung getaucht sind. Die Melodie schmeckt lecker, wenn nicht sogar köstlich. Doch leider nicht so schmackhaft sind die teilweise stumpfen und lahmen Textzeilen, wie "[…] the smiles you fake […]". Es klingt wie eine dämliche Rache an einem Mädchen, das sich plötzlich entliebt oder ihn betrogen hat. Anstatt ihr klug und interessant zu vermitteln, dass sie eine von vielen Mädchen ist, die es gibt, und dass sein Herzgeschäft noch nicht einmal einen Kratzer von ihr abbekommen hat. Doch im Gegensatz zu alle dem, machen es Worte wie "I softly comfort you, I slowly slip into" wieder gut. Sie können Herzwunden aufreißen und schließen, weil sie einfach so schön klingen. Es hört und fühlt sich so wunderbar an. Im Ganzen gesehen und gehört, habe ich ein wenig das Gefühl, dass sie noch ein wenig unbeholfen durch die Musiklandschaft laufen. Taps, taps, taps. Sie haben Talent. Keine Frage. Mindestens 10 Kilo und mehr. Und sie haben auch jede Menge Erfahrung durch Festivals und Konzerte, auf denen sie immer wieder ihre Melodien für Millionen preisgeben. Aber wenn sie doch einfach mal ab und zu etwas Neues hineinpacken würden, in ihren Einladungs-Kuchen "Invitation", dann würden sicherlich mehr Gäste kommen und davon probieren wollen. Sie würden es lieben oder hassen. Doch solche Melodien, solche Gitarrenzüge, solche Schlagzeugklänge und solch eine hin- und her reißende Band kann man nicht hassen. Vielleicht liegen sie einem anfangs nicht so sehr im Ohr wie andere, aber dafür bleiben sie einem ab einem bestimmten Zeitpunkt darin hängen, an Fäden und Seilen aufgehängt, schwingen sie sich von Ohrmuschel zu Ohrmuschel.

Auch wenn mir dieses Image von Lada nicht so ganz ans Herz wachsen will. Denn ihre Musik wird ständig als "dreckig", "verschwitzt" und "verraucht" beschrieben. Da wird das Bild von drei Männern, die Abend für Abend in einer verrauchten und abgerissenen Bar auftreten, ihre Gage einsacken und sich danach betrinken, wenn sie nicht schon auf der Bühne volltrunken herumstolpern, heraufbeschworen. Hab ich ein Klisché übersehen? Nein. Aber das ist wohl Geschmackssache, wie eben alles in diesem kleinen Kasten, namens Leben. Also schön weiter Melodien basteln, die Finger zupfen lassen und bitte Sprechen lernen. Guten Appetit.
foto: waggle daggle


lada
[invitation]
waggle daggle 2005 cd
lada

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Sigur Rós [Takk...]

Eighteen Seconds Before Sunrise.
Mit ihrem beeindruckenden Gespür für das Schöne, tragen die Isländer auch mit dem vierten Album Farbe für Farbe auf ihre Klangleinwand, um dem Zuhörer eine außergewöhnliche Collage voll epischer Kleinode und unzähliger Höhepunkte zu präsentieren.



"lächelnd. im kreis drehend. hände haltend. die welt verschwimmt, außer du bleibst stehen."
(hoppipola)


Als ich klein war, machten mein Vater und mein Großvater gern den Scherz, dass sie schon an den unmöglichsten und am weitest entfernten Orten dieser Welt gewesen wären, nur um dann hinzuzufügen, dass es bloß mit dem Finger auf der Landkarte gewesen sei. Mein Erstaunen wich dann einem Lachen. Ich mochte den Scherz. In den heutigen Tagen hat sich die Welt zu einem winzigen globalen Dorf verniedlicht, alles ist vernetzt und scheint jederzeit erreichbar. Was die visuelle Verstärkung dieses Gedankens anbelangt, so wird sich in nächster Zeit Google Earth bei der Mehrheit der mit dem Welt Weiten Netz Verbundenen manifestieren, auch wenn man diesem mehr als atemberaubenden Programm auch kritisch gegenüber stehen sollte. Den anfangs erwähnten Spaß kann man heute also zeitgeistig untermauern. Setzt man sich nun abends vor den PC, dem intimen Fenster zur Welt, und lässt genanntes Programm die vorhandenen Datenmengen von Island generieren, so breitet sich vor dem Auge das Abbild einer unbeschreiblichen Landschaft aus, welche dem tatsächlich noch niemals vor Ort Gewesenen, einen kleinen Eindruck beschert, von dem was dieses Land ausmacht. Von dem, was die Menschen prägt, die in diesem Land leben. Von der Musik die gespielt wird, die in diesem Land entsteht. Von der skurrilen Einzigartigkeit und der andersartigen Anmut.

Nach ihrem letzten Ausflug in die Sprachspiele einer dadaistischen, fabelhaften Welt, welche durch Worte beschrieben wurde, deren ursprünglichste Bestimmung ihnen entwendet wurde, kehren Sigur Rós zurück zu ihrem Land. Zu ihrer Muttersprache, die auf gleiche, einvernehmlichste Weise diesem elfengleichen Gesang zu ähneln scheint, den sie als "Hopelandish" betitelten. "Takk…", was auf Isländisch soviel wie danke bedeutet, lautet der Name dieses vierten regulären Albums der Perfektionisten, welches Sänger Jón Birgisson dem britischen NME vor einiger Zeit als "a bit more happy, with a bit more hope in it" treffend beschrieb.

Und tatsächlich scheint die Schwermut, das melancholische Moment, welches im Vorgänger "()" noch allgegenwärtig schien, einer neuen Glückseeligkeit, einer neuen Hoffnung gewichen zu sein, ohne dabei auf die so prägnanten Stilmittel der Band zu verzichten. Immer noch entfalten sich geräuschintensive Stücke langsam, um sich dann über Minuten hinweg mäandernd zu entwickeln. Gleich das zweite Stück macht deutlich, dass Sigur Rós ihren Stil nicht nur weiterentwickelt haben, sondern ihre Klangbilder in noch reicheren Farben malen als zuvor. Ohne die fragile Schönheit ihrer oft schmerzlichen Stücke zu brechen, bereichern sie eben diese mit ungewohnt lauten und überraschend krachenden Gitarrenwänden, in einer Manier, wie sie kaum eine Band vollkommener beherrscht wie die fünf Schotten von Mogwai.

Das profunde Pathos, die esoterische Verquertheit und den zeitweise überbordenden Bombast darf man ihnen gern vorhalten und die beträchtlichen, fast orchestralen Klänge herabreden, dennoch gelingt ihnen mit dem Stück Glósóli ("glühende Sonne") ein kleines Meisterwerk ihrer oft so introvertierten und mit sphärischem Klang durchsetzten Nische der populär Musik. Das Stück erzählt fast naiv von einem kleinen Jungen, der in der Dunkelheit aufwacht und sich auf die Suche nach der Sonne macht. Und eben diese Bilder spielen sich auch im Kopf ab, wenn der charismatische, schlaksige Jón Birgisson mit dem angedeuteten Irokesenschnitt, feenhaft mit seinem Falsett Gesang diese Geschichte voller Euphorie erzählt, und seine Melodie zum Ende hin gegen die donnernde Gitarrenwand ankämpft nur um selbst von einer Gitarre getragen zu werden.

Dieses bildhafte, sich von Beschreibungen abhebende Gefühl, welches in den Stücken von Sigur Rós seit nun mehr elf Jahren verortet und transportiert wird, erlangt auf "Takk…" neue Konturen, eine neue Transparenz und Zugänglichkeit, welche die Stücke in einem noch farbenfroheren Licht erstrahlen lassen. Alles um einen herum scheint für Augenblicke stehen zu bleiben, und vielleicht haben die vier Isländer recht, wenn sie über sich selbst behaupten, dass sie keine Band, sondern vielmehr Musik sind. Mehr Klang als klassischer Song, sind ihre Kompositionen, wozu neben den gewöhnlich verwandten Instrumenten vornehmlich Piano, Glockenspiel, Vibraphon, das involvierte isländische Streichquartett Amiina sowie die orchestralen Aufnahmen in einer Kirche beitragen. Auch mit dem überraschend fröhlichen Einsatz verschiedenster Blechblasinstrumente in Sé Lest ("Ich sehe einen Zug"), das ein wenig an die Stimmung der für New Orleans bekannten Jazzspielweisen der Trauermärsche erinnert, überrascht die Band mit neuen Klängen.

Die isländische Musik wird oft als Spielwiese der skurrilen bisweilen spinnerten Ästhetik und Interpretation betrachtet und von manch einem belächelt, und ganz gewiss läuft sie auch die Gefahr, sich in ihren eigenen Strickmustern zu verfangen. Dennoch geht von diesem mythischen Charakter, welcher sich nicht nur um Sigur Rós rankt, eine unwirkliche Faszination aus, eine scheinbar zauberhafte Parallelwelt zu der unseren. Nicht zuletzt die Sprache, die sich aus dem Altnordischen entwickelte, in den letzten tausend Jahren jedoch kaum veränderte, provoziert eine märchenhafte, friedliche Atmosphäre und führt dazu, dass sich allein um den Band Namen hundert Vermutungen ranken, wie er denn tatsächlich ausgesprochen wird ['sɪɣuʀ 'roʊs].

So ursprünglich schön und majestätisch wie die Landschaft ihrer Heimat, und wie sie von den Satellitenbildern von Google Earth für den Ortsfremden angedeutet werden, gestalten die vier Endzwanziger auch dieses Album, welches vielleicht die perfekte Umsetzung all ihrer bisherigen Spielweisen in sich zu vereinen weiß.
foto: yoshika horita



sigur rós
"takk..."
capitol 2005 cd / lp
sigur rós

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Jim Jarmusch [Broken Flowers]

Vielleicht ist es der eingängigste all seiner Werke, doch mit Broken Flowers nähert sich Jim Jarmusch nur oberflächlich einer romantisch turbulenten Komödie an und bietet zusätzlich eine vielschichtige Betrachtung zwischen spätem Trost und der Ruhe des Zens während man begreift, vielleicht doch alles verpasst zu haben.


"nichts ist wirklich, außer dem zufall."
(paul auster, stadt aus glas)

Die Handlung ist schnell zusammengefasst; Der Privatier und Altdandy Don Johnston (Bill Murray) erhält eines Tages einen Brief, in welchem die anonyme Schreiberin ihm eröffnet, dass nach ihrer Trennung vor rund zwanzig Jahren ein Sohn geboren wurde, der sich jetzt auf die Suche nach seinem Ursprung aufgemacht hat und seinen Vater womöglich ausfindig machen wolle. Nicht mehr nicht weniger. Ungewissheit breitet sich bei dem Alleinstehenden aus, eine Verwirrung in seinem ansonsten so klaren Alltag, dessen Aufkommen sich höchstens durch die verschiedenen Farben seiner Fred Perry Trainingsanzüge unterscheiden. Sein Nachbar und Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright) ist sofort interessiert an der Auflösung dieses ihm in die Hände gespielten Falles und schickt Johnston auf eine Reise durch die Zeit, Emotionen und Beziehungen.

Es interessiere ihn nicht, so Jim Jarmusch, wie seine Figur dahin kommen konnte, wo sie sich zu Beginn des Films befindet, und er wisse auch nicht, was nach dem Ende mit ihr geschehen wird. Er wolle sie lediglich in der kurzen Zeitspanne ihrer Suche begleiten.

Trotz der romantischen Verstrickungen, denen die Darsteller in "Broken Flowers" ausgesetzt sind, Johnstons episodenhafte Begegnungen mit seinen ehemaligen Affären (großartig: Sharon Stone, Tilda Swinton und Jessica Lange), ist der Film weit von einer romantischen Komödie oder Tragödie im Sinne Hollywoods entfernt. Kaum mehr als ein Motiv, einen erzählerischen Rahmen, stellt das Leben von Don Johnston dar, mit welchem Jim Jarmusch sich einem ganz anderen Bereich anzunähren scheint. In dem 1995 von Regisseur Kollegen Wayne Wang gedrehten Film "Smoke" traf er bereits auf den amerikanischen Schriftsteller Paul Auster, der zu besagtem Film das Drehbuch geliefert hatte. Und ähnlich dessen 1987 erschienen Roman "New York Trilogie" bedient sich Jarmusch in seinem aktuellen Werk dem Moment des Zufalls als alles verbindendes Element. Zwar schenkt Winston im Laufe der Geschichte jedem noch so kleinen Indiz seine Aufmerksamkeit, versucht, wie in seinen begehrten Krimis allen Spuren zu folgen und die Zusammenhänge herauszustellen, doch verliert er immer wieder die mögliche Belanglosigkeit eines profanen Zufalls aus den Augen. Und auch wenn Johnston ihm immer wieder mit einer realistischen Auffassung entgegentritt, so sieht er sich selbst zum Ende hin dem Spiel mit der Ungewissheit ausgeliefert, blickt er in der letzten Einstellung gedankenverloren in die Kamera. Jarmusch gelingt es so auch den Zuschauer aus seiner sicheren Distanz heraus in ein Spiel mit seinen eigenen Erwartungen zu verstricken.

Der am 21. September 1950 in Illinois geborene ironische Anarchist William James Murray sollte schnell im medialen Hype der amerikanischen Comedywelle Saturday Night Live an seiner eigenen Courrage straucheln, um dann später durch frühe Blockbuster Erfolge wie Cadyshack und Ghostbusters vom Hollywoodkino gleichgeschaltet zu werden. Doch viele Jahre später überdauert Murrays minimalistische Coolness alle Versuche Hollywoods ihn umgänglicher zu machen. Kaum ein anderer zeitgenössischer Schauspieler in den USA scheint derzeit in der Lage zu sein diesen charakteristischen Humor mit einer solchen Ernsthaftigkeit darzubieten, wie es Murray in seinen letzten Filmen gelang. Es ist die Kunst, alles auf sich wirken zu lassen. Murray scheint keine Rollen in Filmen zu spielen, sondern die Rollen und Filme scheinen sich an seiner selbst zu spiegeln. Es ist eine in letzter Konsequenz wohlwollende Akzeptanz einer unaufhaltsamen Niederlage, das Wissen des Scheiterns im Leben, welches seine Figuren und nicht zuletzt die Person Murray selbst in einer selten erreichten Klasse erstrahlen lässt. Nicht umsonst weiß Jim Jarmusch über seinen Hauptdarsteller zu behaupten, er sei "very fucking smart".

"Broken Flowers" stellt mehr Fragen als er beantwortet, und genau darin könnte die Kunst des Filmes liegen. In unserer von Statistiken und Rückblicken geordneten Welt, geben wir uns pragmatischen Betrachtungen hin. Wir haben verlernt uns mit dem Diskurs zu begnügen, wenn er nicht zielstrebig und ergebnisorientiert geführt wird. Die Gegenwart verliert zunehmend an Bedeutung und verkommt immer mehr zu dem Zweck einer Pause vor dem Eintritt des nächsten großen Dings. "The past is gone. The future isn’t here yet, whatever it’s going to be. So until then, there’s the present", philosophiert Don Johnston im Film und erkennt darin das Dilemma.
foto: tobis


jim jarmusch
"broken flowers"
2005

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600 Wörter [Die Ersatzbank]

"Da haben Spieler auf dem Spielfeld gestanden; gestandene Spieler."
(Günter Netzer)





"Auf der Ersatzbank meines Lebens", irgendwie zieht es an mir vorbei. Das Leben, das Spiel, orientalische Schnellgerichte, Bundesliga Frontberichte und vor allem und nicht zuletzt, diese scheiß Rockmusik. Und immer wieder werden Spieler eingewechselt, bekommen eine Chance, schießen ihr Tor und werden gefeiert. Dann geh ich zum Trainer, sag ihm "Du, wechsel mal Thomas ein, der kann Flanken. Große Klasse. Ach ja, wann darf ich denn..." Aber da schießt Dirk schon einen Pass, der gleich in ein Tor verwandelt wird. Ausgerechnet Dirk, der sich nicht mal die Schuhe alleine zubinden kann, dem ich noch seinen Turnbeutel hinterher trug. Einmal, tumb wie er ist, steht er an der richtigen Stelle, betrachtet die Grasflecken auf seiner Schuhspitze und in just diesem Moment stoppt er mit dem leicht angehobenen Fuß den Ball. Passt ihn weiter und wird umjubelt. Zur rechten Zeit, am rechten Ort.

Dort bin ich auch, stets. Bei der Championsleague war ich dabei, DFB Pokal, jedem verschissenen Mannschaftsspiel. Aber eben nur dabei.

Und dann, dann wechselt mich der Trainer ein. Ich gebe mein Bestes. Euphorisiert wie ein junger Hund, voller Elan, unter Strom, aber aufgeregt, unsicher, ängstlich. Ich kaschiere das mit großen Worten. Kleiner Fingerzeig auf das Leder, dann auf das Tor. Meine Chance. Die Abwehr ist überrascht, der Torwart weit draußen. Ich hole aus, treffe den Ball, aber auch die Bande rechts neben dem Tor.

Chance vertan. So ist das Spiel. Noch 15 Minuten, zwei in der Nachspielzeit und aus. Die Fans schauen auf mich runter, zumindest kommt es mir so vor. Wie sollte es auch anders sein, die Tribüne ist stets über dem Spielfeld, zu jemandem raufschauen ist da nicht. Die Mitspieler schütteln den Kopf. Hier zu versagen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und ich machte es dennoch möglich.

Ich dusche, nasse Handtücher schnappen auf meinen Po. "War doch nur Spaß", sagen die Mitspieler, die sich als Gegenspieler entpuppen. Welch Freude und Überlegenheit, die dort ausgespielt wird. Charlie kommt zu mir rüber, drückt mich und sagt, dass das jedem passieren kann. Wie nett, welch Trost. Später entdecke ich das Loser-Schildchen, das er mir anpappte, und ärgere mich über seine verlogene Feigheit.

Und dann sitze ich wieder auf der Ersatzbank. Sehe, wie es an mir vorbeizieht, das Spiel und vor allem diese scheiß Rockmusik. Ärgere mich über meinen Einsatz, dass ich zu aufgeregt war und wie ich zwanghaft versuche mitzuspielen, mich dem Pack anpasse. Okay, ich ziehe mir keine Lines rein, um noch mehr zu Powern. Aber das sehe ich nicht als Fehler.

Charlie sitzt neben mir und zieht die Nase wieder hoch und macht einen auf Kumpel:
"Auch was?"
"Nee, echt nicht."
"Ich hab da 'nen neuen Sponsorenvertrag. Außerdem 'ne gute Geldquelle. Das richtige für Dich, so wie du spielst, müsstest Du Dich nicht mal anstrengen. Du kennst doch den Robert, den Schiri. Wenn wir dafür sorgen, dass wir das Spiel hier verlieren, dann bekommen wir 'n paar Euros extra."

Ich verneine noch viel zu höflich. Charlie wird eingewechselt, schießt daneben und es ist allen egal. Er freut sich, hat ordentlich was verdient. Ich weiß das und die anderen scheinen es auch zu wissen. Und ich sitze auf der Ersatzbank meines Lebens. Sie ziehen an mir vorbei mit ihrem Erfolg, ihrem Geld, ihren Frauen, ihren Männern, ihren Jobs, ihrem Status, ihren Plattenverträgen, ihren Konzerten, Fans, ihren guten Liedern, Anerkennung, ihren Leben. Und ich merke, dass ich wohl nur darauf warte, in ihr Leben eingewechselt zu werden. Warten, dass ein anderer Spieler Dirk, Thomas, Charlie oder die anderen mit einer Blutgrätsche aus ihrem Spiel befördert, um ihren Platz einzunehmen. "I'm waiting for my real life to begin..."
Ende
Anfang
Text: Daniel Decker
illustration: heiko windisch

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Richard Hawley [Coles Corner]

In einer Hand die Blumen, in der anderen ein Päckchen voll Hoffnung und im Schoß liegt das Herz. Mit Coles Corner bietet Richard Hawley elf opulent instrumentierte Songs mit zeitlupenhafter Romantik und schwelgender Melancholie.



"when i was younger, i was worried about being cool.
but music is one of the few things, where tradition is not such a bad thing.
"
(richard hawley)


Richard Hawley, der mit "Coles Corner" sein viertes Album veröffentlicht, weiß genau wie man Herzen zum schmelzen bringt. Wie man Knie zittern lässt und wie man Fingernägel voller Melancholie in die Lehnen eines alten Ledersessels pressen lässt. Der spätere Session Musiker und Tour Gitarist der britischen Band Pulp, begann seine Karriere mit einer Rhythm 'n' Blues Band in deutschen Bier Zelten 1981. Über viele Umwege hinweg veröffentlichte er zwanzig Jahre später ein selbst betiteltes Minialbum. Was bei dem Mann im Hintergrund ins Auge stach war jetzt seine Stimme; dieses tief melodiöse, unweigerlich an Frank Sinatra, Hank Williams und Elvis Costello erinnernde croonen.

Es sind nicht nur die Lieder, die einen in eine so herrliche Stimmung von Traurigkeit, Lebensfreude und Zuversicht versetzen. Wenn man sich allein das Booklet anschaut, von innen nach außen, von oben bis unten, von rechts nach links. Da möchte man gar nicht anders, als sich das Album durch und durch anhören. Jede Minute voller Klänge und Töne in sich aufzusaugen und sich vorzustellen, wie der eigene Herzbube oder die eigene Herzdame einem Zettel in sein Lieblingsbuch legt, auf dem Worte wie "Maybe there’s someone waiting for me. With a smile and a flower in your hand" stehen.

Das Innenleben des Covers erzählt einem so etwas wie eine kleine Geschichte, wie auch Richard Hawley in Tonight eher etwas erzählt, als zu singen. Mitten auf dem Cover, welches einem sofort ins Auge springt, sieht man ihn allein, mit einem eingepackten Strauß Blumen in der Hand vor einem Theater. Er scheint auf Jemanden zu warten. Weiter geht es mit Bildern, auf denen er sich im Spiegel betrachtet oder sich alles richtet. Dann sieht man Hawley in einem wunderschönen, englischen Taxi, das ihn zu dem Theater fährt. Sein Strauß Blumen bildet einen wunderbaren Kontrast zu dem gesamt Bild, in das man so gerne hineinschlüpfen würde, weil er auf jedem Foto so verdammt traurig aussieht. Auf einer Doppelseite die ihn abbildet und dem Cover ähnelt, schaut er auf seine Armbanduhr und kurze Zeit später steht er in einer rot lackierten Telefonzelle und ruft Jemanden an. Coles Corner ist die Ecke an dem ein verschwundenes Kaufhaus verliebte zu einem nächtlichen tête - à - tête einlud. Das Bild ist traurig. Das Bild macht traurig. Richard Hawley macht traurig.

Seine Lieder variieren zwischen jazzigen Musikstücken, cowboybehafteten Klängen und einfach nur wunderbaren Melodien von Geigen, Klavier, leisen Drums und genialer Stimme. Hört man Lieder wie Just Like The Rain, entstehen nicht nur wohltuende Gefühle und Stimmungen, sondern auch automatisch gewisse Bilder, die das Unterbewusstsein in unsere wachen Köpfe schießen lässt. Wenn Richard Hawley "but you’re still in my mind" singt, kommt bei mir persönlich das Bild von einem alten, graubärtigen Mann auf, der in einer Westernbar auf einem Hocker auf der Bühne sitzt und diese junge Stimme annimmt.

Leider hat er für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen in seinen Texten, aber alleine die Tatsache, dass sich so viele Zeilen bei ihm reimen, ist charmant. Überaus charmant.

Auch hören sich Worte wie "You are here in my arms" nur bei Richard Hawley schön an. Nur bei ihm. Er singt so verdammt einnehmend und schön. Man kann mit den Liedern und seinen Takten mitwippen, aber gleichzeitig ein Kleinkind in den Schlaf wiegen. Man könnte diese ganzen gegensätzlichen Gefühle, die Minute für Minute, Takt für Takt und Ton für Ton neu entstehen, fast schon über den Ozean hören. Über die höchsten Berge und bis tief drinnen in unseren Köpfen. Puff, peng, peng. Melodien für Millionen.
foto: gareth james


richard hawley
"coles corner"
mute 2005 cd
richard hawley

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Arne Bellstorf [Acht, Neun, Zehn]

One step inside doesn't mean you understand.
Das zunächst als Diplomarbeit angefertigte Comicalbum "acht, neun, zehn" verschaffte dem Autor Arne Bellstorf zurecht Beachtung auf der Frankfurter Buchmesse als "besten Newcomer", und der deutschen Comiclandschaft eine weitere erfreulich anspruchsvolle Nuance.


"vielleicht versuchst du einfach dich mit mir zu unterhalten?
(miriam)

"Es ist leider eine müßige Diskussion darüber, warum Comics in der öffentlichen Wahrnehmung als Kinderkram und Schund wahrgenommen werden. In Frankreich ist das anders, in Japan auch, und in Amerika gibt es mittlerweile doch einige Autoren, die für ein erwachsenes Publikum schreiben und zeichnen und damit auch ein größeres Publikum erreichen." Arne Bellstorf ist Jahrgang 1979 und hat gerade mit "acht, neun, zehn" sein erstes Comicalbum auf den übersichtlichen deutschen Markt gebracht. Es erzählt von dem jungen Christoph Bachmann der bei seiner getrennt lebenden Mutter in einer Vorstadtsiedlung lebt und die letzten Wochen seiner Sommerferien eben in jener ereignislosen Tristesse verbringt, bevor er die zehnte Klasse wiederholen wird. Zwar scheint sich einiges ändern zu wollen, als er zufällig die gleichaltrige Miriam kennen lernt, doch scheint "acht, neun, zehn" auf einer anderen Ebene zu funktionieren. Es sind nur ein paar Tage die hier in drei Kapiteln beobachtet werden, doch die Geschichte bewegt sich auf einem zeitloseren Terrain.

Arne Bellstorf gelingt es durch seine klaren Zeichnungen ein Gefühl hervorzurufen, das jedem geläufig sein dürfte, der seine Jugend in der kleinstädtischen Provinz verbrachte. Die Bildsprache, die hier gut überlegt und in Einklang mit Stimmung und Erzählrhythmus harmoniert, erinnert an Strukturen, die sich auch in Filmen von Hans-Christian Schmid oder etwa Andreas Dresens "Willenbrock" wieder finden. Es ist diese Beklommenheit die auftaucht, wenn die Kamera - oder hier die einzelnen Panels - Sekunden der Belanglosigkeit einfangen; die aufgeräumten Vorgärten, die menschenleeren Straßen, eine Treppe, über die eben jemand ging oder die Finger, die einen Stein auf der Fensterbank berühren. "Vor allem amerikanische Autoren wie Daniel Clowes, Adrian Tomine und Chris Ware", sieht Bellstorf als seine Vorbilder. "Diesen Vergleichen muss ich mich häufiger stellen, andererseits macht das auch deutlich, dass es eigentlich nur eine handvoll Comic-Autoren gibt, die inhaltlich und formal vergleichbar arbeiten."

Auch wenn der Protagonist ein pubertärer Jugendlicher ist, geht es doch um erwachsene Themen. Der Mangel an Kommunikation in unserer Gesellschaft, selbst in den kleinsten sozialen Einheiten dieser, steht im Vordergrund. Die Beziehungsarmut und Unfähigkeit sich aus bestehenden Strukturen herauszulösen. Der wortkarge Christoph, der wenig über sich zu erzählen weiß, oft teilnahmslos erscheint und die Zeit wie unerträgliches Warten auf etwas Unbestimmtes erträgt. Ganz beiläufig spielt er Videospiele, onaniert, liest. In den wenigen Gesprächen die er führt antwortet er so ökonomisch kurz wie es ihm möglich ist. Die Teilnahmslosigkeit, diese erdrückende Schwere während der Pubertät, einer Zeit in welcher man sich selbst kaum in der Welt verorten mag, erfasst Bellstorf mit der Figur des Christoph brillant. Dieser tristen Perspektivlosigkeit tritt Miriam gegenüber, die in den Ferien bei ihrem Vater in einer Gärtnerei arbeitet um Geld für eine Reise nach Kanada zu sparen. Auch als sich die beiden vorsichtig näher kommen, kann Christoph Miriams zukunftsorientierten und erwachseneren Ansichten nicht in seine Lethargie einbeziehen. Wo bei ihr Träume und Vorstellungen über ihr Leben bestehen, herrscht bei Christoph lediglich Unentschlossenheit und Stagnation. Es ist absehbar, dass die Beziehung zu einer weiteren Stufe des Entgrenzens führen könnte.

Reizvoller wird die Geschichte noch, wenn die gleichsam in einer frustrierenden Einsamkeit isolierte, getrennt lebende Mutter mit dem jugendlichen Leid ihres Sohnes parallelisiert wird. Sie trauert einer längst verlorenen Liebe nach, unfähig einen ernsthaften, länger währenden Kontakt mit Anderen aufzubauen. Beide haben sich mit der Zeit in einer Welt verfangen, in der Gefühlsausbrüche nur heimlich stattfinden können. Unsicherheiten sind allgegenwärtig. Christoph versteckt sich gar um wütend zu werden, seine Mutter weint allein auf einem Parkplatz.

Wie die ordentlich gepflegten Vorgärten, die peinlich genau gesäuberten Zwischenräume der Pflastersteine und gerade geschnittenen Hecken, ist auch das sichtbar geordnete Verhalten der Menschen nur ein oberflächlicher Glanz, hinter welchem sich unausgesprochene Verletzungen und Enttäuschungen verbergen, an die man nicht heranzutreten wagt. Vor allem Christoph befindet sich in der Zwischenwelt von Kindheit und Erwachsenendasein, auf einem Grad, der zu beiden Seiten mit der Unmöglichkeit des sicheren Integrierens in eine der beiden Welten gesäumt scheint. Arne Bellstorf weiß dies so trefflich mit einer trivialen Bildersprache zu kommentieren, wenn er die wenigen Szenen benutzt, in welchen ein kleines Mädchen mit Kreide ein Kinderspiel auf den Bürgersteig zeichnet. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn hüpft man dabei von der Hölle in den Himmel und wieder zurück.

Die wohl bedachten, doch bewusst spärlichen Zeichnungen bieten dem Leser eine sehr freie Sicht auf die Geschichte, wollen nicht grob auf einen Gedanken abzielen, bieten aber mit den vielen metaphorischen Momentaufnahmen Anstoß für eine methodische Betrachtung des Albums. "Vielen fehlt natürlich schon die Lesegewohnheit für Comics überhaupt", konstatiert der Autor. Ein Grund, weshalb nur ein überschaubarer Kreis an dieser Geschichte teilhaben wird. Und vielleicht ist "acht, neun, zehn" ja auch eine sorgsam überlegte, kleine Parabel auf die oberflächliche Betrachtung der Comic Kultur in unserem Land. "Ich versuche jedenfalls mit meiner Arbeit auch irgendwie die deutsche Comiclandschaft um einen neuen Tonfall zu bereichern. Damit man ein größeres Publikum erreicht, fehlen natürlich bessere Vertriebswege und vielleicht mehr Presse, aber ich glaube schon, dass die Nachfrage da ist." Dem kann ich mich anschließen.
foto: bellstorf.com / zeichnung: acht, neun, zehn




arne bellstorf
"acht, neun, zehn"
reprodukt verlag 2005
arne bellstorf


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