600 Wörter [Liebe]

Was mit Werther angefangen hat, ist heute die Lätta Werbung.





Es gibt nichts Leichteres, als eine das Thema umfassend behandelnde Kolumne mit exakt 600 Wörtern zu schreiben, und zwar in einem Anlauf, ohne später etwas wegzukürzen oder auch nur ein unnötiges Adjektiv hinzuzufügen. Und dabei ist die Themenwahl völlig egal.

Nehmen wir das Thema "Liebe", weil es so banal und heimtückisch ist. Jeder glaubt, etwas darüber zu wissen oder wissen zu müssen und doch halten es alle für das große Gehemnis. Das als Inder mit dem Namen Ramakandra geränderte Systemprogramm ("power plant system's manager for recycling operations"), dass seine geliebte Tochter Sati aus der Matrix in eine bessere Welt führen möchte, hat alles gesagt, was es zu Liebe zu sagen gibt: "Es ist nur ein Wort." Dann sagte Ramakandra noch etwas, das schon wieder über das Ziel hinausschießt, eine Dummheit, um genau zu sein.

Letzte Woche saß ich in einem American-Airlines-Flug und wurde von Holly und Sherry mit Chicken, Coffee und Orange Juice bewirtet. Immer wenn Holly an meinem Platz vorbeikam, fragte Sie mich "Can I get you anything else, honey?" oder "Are you okay, love?" LOVE! Nur ein Wort. Später im Flughafen-Hotel, als Hollys Vaginal-Piercing lustig an meinen Zähnen klapperte, hatte das doch nichts mit Liebe zu tun. Im Gegenteil: beim Liebemachen vergesse ich die Frauen total. Wenn eine am Telefon sagt, sie vermisse mich, dann nur, weil ihr langweilig ist oder weil ihr nichts originelleres eingefallen ist.

Ich sehe einige LeserInnen hier protestieren. Natürlich. Aber denken Sie: Wenn es nicht Langeweile, Einfallslosigkeit oder Gewohnheit ist, dann ist es etwas noch Schlimmeres: Sie haben sich Ihre Liebe aus dem Fernsehen abgeschaut. Was mit Werther angefangen hat, ist heute die Lätta-Werbung. Ihre geliebten Männer sind von diesem Problem übrigens weniger berückt. Die genießen auch eher die Segnungen der Pornographie. Sie sollten das ebenfalls einmal probieren. Es ist wirklich nichts dabei und ihre heilsame Wirkung gegen Romantik und Sentimentalität wird sehr unterschätzt. Früher hatten wir Männer unsere Arbeit, mit deren Hilfe wir vor Frau und Kind flüchten konnten. Heute sitzen wir rum und füllen Arbeitsamts-Formulare online aus. Die wahre Liebe ist da immer nur einen Klick entfernt. Und glauben Sie mir: auch meine Freundin würde einen Eid schwören, dass ich so etwas nicht täte. Das liegt aber nur daran, dass wir Männer den Browser-Cache und die Download-History blind löschen können.

Das über das Körperliche hinaus Zwischenmenschliche ist den meisten Menschen eine leidlich erträgliche Mischung aus Missverständnis und Enttäuschung. Und bevor Sie jetzt versuchen, den bedauernswerten Autor zu analysieren, kann ich Ihnen sagen: Er ist ein glücklicher Mensch, der Glück mit den Frauen hat. Glücklichsein setzt ein wenig verbale Abstraktion voraus und verträgt sich schlecht mit unklaren Gefühlsschüben. Wie Sie ja schon selbst bemerkt haben, sind Glück und das, was Sie Liebe nennen, verschiedene Aggregatzustände der Seele (dieses Wort benutze ich nur aus Anbiederei), sie sind unvereinbar. Mit einem wachen Verstand kriegen Sie vielleicht den kurzen Moment mit, wenn das Eine schmelzend in das Andere übergeht. In aller Regel denken Sie jedoch dann schon ängstlich an den nächsten Moment, in dem Ihnen das Wasser bis zum Hals stehen wird. Darauf werden Sie gründlich programmiert. Diese Erwartungshaltung, die alles andere als stramm ist, macht Sie unglücklich. Und hier kommt Ramakandra wieder ins Spiel oder besser die Dummheit, die er seiner Weisheit hinterhergestellt hat. Er sagt nämlich, es käme darauf an, was wir mit dem Wort Liebe verbinden. Ach Gottchen. Das ist doch das Problem: Sie verbinden zu viel mit diesem Wort. Lassen Sie das. Wenn Ihr Partner das nächste Mal zu Ihnen sagt, "Ich liebe dich", dann sollten Sie da nicht mehr hineininterpretieren, als dass er mal wieder richtig einen von Ihnen geblasen...
Text: Gilbert Dietrich
illustration: heiko windisch