Mirana July [Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen]

Ein Mann zündet vor den Augen seiner beiden Söhne seine Hand an, ein kleines Mädchen trägt obsessiv ihre Aussteuer in einer Truhe zusammen, zwei pinkfarbene Schuhe durchleben die Höhen und Tiefen einer Liebesbeziehung und das Geheimnis des Sonnenaufgangs klärt sich an einer Bushaltestelle.


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forever

(robby)


Der erste abendfüllende Spielfilm der jungen US Amerikanerin Miranda July generiert zunächst separate Erzählstränge die im Laufe der Handlung immer mehr aufeinander zu streben und sich verdichten, und ist dabei sowenig klassischer Episodenfilm wie Gesellschaftskritik. Zu Recht gewann ihr atemberaubendes Debüt "Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen" bei vielen wichtigen internationalen Filmfestspielen Preise und wurde für seinen kindlichen Charme in der Beobachtung gelobt, der es ihm erlaubt komplexe Themen wie Fetischismus, den in vereinzelten Bundesstaaten der USA gesetzlich verbotenen Oralverkehr, Interracial Marriage, Selbstverstümmelung, Sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen, das Leben, den Tod, mich, dich und alle die wir kennen ganz unaffektiert zu betrachten.

Mit weit geöffneten Augen betrachtet der Film ein liebevoll ausgewähltes Ensemble um die junge Videokünstlerin Christine (July), die ein Seniorentaxi betreibt um sich finanziell über Wasser halten zu können, und den Schuhverkäufer Richard (John Hawkes), dessen Frau sich gerade von ihm getrennt hat und der zurzeit auf seine beiden Söhne aufpasst und versucht ihnen bei dieser Gelegenheit wieder etwas näher zu kommen. Oben erwähnte Selbstkasteiung ist ein solcher, zum Scheitern verurteilter, sentimentaler Versuch. Um diese beiden Figuren herum kreisen eine handvoll skurriler Charaktere die sich in der schrägen Vorstadt Tristesse bewähren. Wie Michael (Hector Elias), ein juveniler Rentner, der sein Leben mit einer Frau verbrachte, die er nicht liebte, und jetzt, im Hohen Alter die Liebe seines Lebens findet, nur um diese verwelken zu sehen. Die beiden pubertierenden Mädchen Rebecca und Heather (Najarra Townsend und Natasha Slayton), die sich nach dem Ersten Mal sehnen, in Gedanken begleitet von Unsicherheit und Zweifel. Oder Robby (Brandon Ratcliff), Richards jüngster Sohn, der sich mit seinen knapp sechs Jahren in einem Chatroom verliert, in welchem seine kindlich naiven Aussagen vom anonymen Gegenüber für lustvolle, sexuelle Perversitäten gehalten werden. Alle diese Charaktere suchen Kontakt, suchen eine Beziehung zu anderen Menschen, ein Herauslösen aus den Banalitäten der Suburbanen Einöde, wie auch immer diese geartet ist. Sie alle sind bereit und haben die kindliche Gewissheit, dass sich etwas ändern wird. "I’m prepared for amazing things to happen", bringt Richard all diese große Erwartung auf den Punkt. Diese Sehnsucht wird in verschiedenste Richtungen gelenkt; Mal berührend, mal komisch, Mal verstörend. Und in allen Fällen gelingt es July Einfühlungsvermögen, Respekt und Humor im Gleichgewicht zu halten.

Gerade in jenen Momenten, in denen die kindliche und erwachsene Welt kollidieren tritt eben diese sensible Perspektive in den Vordergrund. Beide können ihren Standpunkten nicht entfliehen, was zu essentiellen Missverständnissen führt, eben wenn die seltsamen Ideen des sechsjährigen Robby im Chat als obszöne Provokation verstanden, oder die unschuldig lüsterne Anmache der beiden vierzehnjährigen Mädchen von einem Erwachsenen all zu ernst genommen wird. Hier lässt July die Szenen jedoch nicht eskalieren, stürzt die Mädchen und Jungen nicht in verderbliche Konsequenzen, sondern beobachtet mit selbstverständlicher Leichtigkeit das bisweilen doch seltsame Verhalten der Erwachsenen.

Sie bewahrt beim Beobachten all dieser kleinen, sonderbaren Auffälligkeiten und der wunderlichen Alltagsbewältigungen stets die liebevolle und konzentrierte Aufmerksamkeit eines Kindes ohne kindisch zu sein, vorurteilsfrei genug, um kein Verhalten als lächerlich zu entlarven. Man lacht mit den Figuren, nicht über sie. Dabei bleibt sie ihrer Sicht der Dinge treu. Wie in einem anderen ihrer zahlreichen multimedialen Projekte, widmet sie sich den kleinen Dinge, den Details, hebt sie hervor, verschenkt Aufmerksamkeit und gönnt sich und dem Zuschauer eine längere Betrachtung. "Learning To Love You More" nennt sie diese Art der Wahrnehmung an anderer Stelle. Gerade diese Beobachtungsgabe in dem Glanz ihrer inszenatorischen Beiläufigkeit dürfte entweder zu anrührender Bewunderung oder zweifelhaftem Augenrollen beim Zuschauer führen.

Die Filmmusik stammt von Michael Andrews, der bereits eindrucksvolle Stücke für den Film Donnie Darko produzierte. "Der Großteil der Musik wurde mit 'demokratischen Instrumenten' eingespielt. Mike bezeichnet Instrumente so, die fast jeder spielen kann; Casio Keyboards, Drum Computer, Vocoder, etc.", erklärt die Regisseurin. "Emotionale Musik mit diesen kalten Instrumenten einzuspielen war eine gute Methode den Film zu reflektieren; es unterstreicht die schroffe Ehrlichkeit ohne sie zu rührselig zu machen." Gelb, so Miranda July, hielt sie früher immer für jene Farbe, welche als letztes in ein Kunstwerk eingebettet würde, um dieses letztendlich zu vervollständigen. Die bezaubernd entrückte Musik von Andrews sei das Gelb ihres Filmes, und tatsächlich verleihen die kleinen elektronischen Soundschnipsel den jeweiligen Szenen ihren besonderen Charme. Und Gelb ist auch jene Farbe, mit welcher sie ihren Film am Ende beschließt.

"Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen" ist poetisch genug um die unkonventionelle und vielschichtige Handlung und die schrägen Figuren glaubwürdig zu inszenieren und den Besucher mit einer Vielzahl von kreativen Ideen in den eigenen Alltag zu entlassen. Ich für meinen Teil konnte das sehr genießen und hoffe, dass es auch anderen gefällt.
foto:


miranda july
"ich und du und alle die wir kennen"
(me and you everyone we know)
2006

learning to love you more