Motorpsycho [Black Hole / Blank Canvas]

God lived, live on.
Jenseits von Hypes bewegten sich Motorpsycho auf ihren Alben schon immer völlig selbstverständlich, und so können sie auch nach über drei Jähriger Pause einfach wieder da sein.


"through the mirror down the hole, lose your way but find your soul."
(with trixeene through the mirror, i dream with open eyes)


Auf billigen Motorrädern fahren die drei Halbstarken durch die Einöde Kaliforniens auf der Suche nach dem schnellen Kick. Archetypen abgehalfterter Klischee Rocker, gesellschaftlicher Wracks, nach Ärger schreiend und Frauen anderer Männer belästigend. B-Movie Ästhetik. Film Noir. Low Budget. Motorpsycho.

Der 2004 verstorbene, brustfixierte König des Trashfilms Russ Meyer scheint von unzähligen Musikern in den frühen Neunzigern rezipiert worden zu sein, betrachtet man die Bandnamen, die in Anlehnung an seine Filme inspiriert worden sind. Mudhoney. Faster Pussycat. Oder eben Motorpsycho. Die Norweger haben den entliehenen Namen jedoch längst überdauert. Das ehemalige Trio aus der norwegischen Industriestadt Trondheim wusste stets neue stilistische Nischen aufzumachen und sich von Album zu Album zu entwickeln. Die Arbeitswut mit einem veröffentlichten Album pro Jahr ließ in letzter Zeit jedoch nach. Seit "It’s A Love Cult", dem letzten regulären Album, sind bereits dreieinhalb Jahre vergangen. Dann stieg 2005 Håkon Gebhardt aus der Band aus. Über die vierzehn Jahre hinweg, in denen er die Band begleitete war er mehr als der Schlagzeuger, schrieb verschiedene Stücke und involvierte manch skurrile Idee in die Musik. Mit dem Zerfall dieser Dreifaltigkeit musste ein Bruch entstehen. In dem mit Akustik Gitarre vorgetragenen Stück Fury On Earth wird – wenn auch mit gewollter Ironie - eben jener klar. "It's so much easier to move with the changes, whenn all the Daemons are let out of their box", heißt es dort. "The love cult selfimploded fat" und "no slow phaseouts". Rückbezüge auf vergangene Alben. Als Duo stehen Hans „Snah“ Magnus Ryan und Bent Sæther nun vor der weißen Leinwand. "Black Hole / Blank Canvas". Willkommen in Zweitausendsechs.

Im Vorfeld zu diesem neuen Doppel Album – dem dritten in der Bandgeschichte - las man des Öfteren Gerüchte, die Band würde musikalisch zu ihren Wurzeln, zur härteren Gangart, zu den frühen Tagen zurückkehren. Das Begehren zur ungestümen Jugend. Eine verfrühte Midlifecrisis. Vorbei sei die Zeit, in der man Streicher Arrangements mit den lauten, treibenden Gitarren verband, in der eins nach dem anderen ein Konzeptalbum entstand, in denen man mutig experimentierte und zwischen zärtlichen Balladen und ausufernden psychedelischen Improvisationen wechselte. Zwischen Sixties Allüren und Alternative Country. Stoner Rock und Jazz.

Dass "Black Hole / Blank Canvas" tatsächlich mehr Wert auf Gitarren und Rhythmus legt, lauter ist als die Pop und Jazz inspirierten Vorgänger "It’s a Love Cult", "Phanerothyme" und der "In The Fishtank" Kollaboration mit dem norwegischen Ensemble Jaga Jazzist, lässt sich nicht in Frage stellen und eine gute Beobachtungsgabe ist für diese Einsicht ebenfalls nicht von Nöten. Doch Motorpsycho würden einen qualitativ herben Rückschritt begehen, wäre dies alles, was man von dem neuen Werk sagen könnte. Was sich hier in den siebzehn Stücken entfaltet ist vielmehr eine Verbindung unterschiedlichster stilistischer Ausprägungen, deren Größe im Detail ruht. Die Band wandelt auf dem schmalen Grad zwischen gestern und heute. Tradition und Innovation. Und im Gegensatz zu anderen Duos aus ähnlichen musikalischen Gefilden beschränken sich die beiden keinesfalls auf Schlagzeug und wahlweise Gitarre oder Bass, sondern spielen die Instrumente einer sechsköpfigen Rockband mal eben selbst ein.

Das treibende, zunächst nur durch eine Akustik Gitarre im Rhythmus zusammengehaltene Devil Dog verbindet die vorlieben für Country und Südstaaten Verweise der Tussler Society mit frühen Bezügen zum dritten Album "Demon Box". Das Moondog bzw. Big Brother And The Holding Company Cover All Is Loneliness kommt dem Kenner in den Kopf. In Our Tree erinnert mit seinem gerade nach vorn gehendem Schlagzeug und dem dröhnenden Bass im Refrain an "Angels And Daemons At Play". Die Pop Anleihen von Kill Devil Hills weichen schnell einer psychedelischen Lärmorgie, kantig genug, um sich deutlich von derzeit populären Kompositionen abheben zu können. Und Hyena eröffnet die zweite Seite schließlich mit dem Song, den sich mancher Fan seit "Blissard" gewünscht hatte. Mit L.T.E.C. zitiert man sich im Titel selbst und lebt Seventies Blues Rock, der sich (auf Vinyl) endlos in Hall verliert. Bent Sæthers kratzige Stimme bereichert die Songs immer noch mit diesem lächelnden Unterton, dieser blumigen, verträumten Note, selbst wenn sein rumpelnder Bass vom Gegenteil zeugen will. Und Snahs mal ungestümes, mal zaghaftes Gitarrenspiel und sein zarter Gesang mit der nordisch akzentuierten, englischen Aussprache lassen das wunderschöne und scheinbar endlose Before The Flood in einem ganz besonderen Charme erstrahlen.

All diese Stücke sind aber weder Plagiate noch altbackene Reminiszenzen an alte Werke, es ist ein Experimentieren mit dem Bevorstehenden, ein Ausloten der Möglichkeiten, die einem als verbliebenes Duo nach dem Bruch offen stehen, und ein konstanter Schritt nach vorn, auch wenn er musikalisch eher zurück in die Neunziger zu gehen scheint. Wenn nach vier Minuten und siebenundzwanzig Sekunden in dem elegischen Stück The 29th Bulletin – verweisend auf einen Rundbrief Napoleons, in welchem dieser die Niederlage der französischen Armee in Russland eingestand – die Streicher gemeinsam mit Piano, Gitarren, Schlagzeug und Bass ein letztes Mal wehmütig losbrechen, die Zeilen "Beautiful, beautiful emptiness / Speachless and babbling / Just one big mess / Selfobsessed, immature and insecure" verlautet werden, dann ist klar, dass Motorpsycho immer noch an diese schwermütigen Großtaten wie Vortex Surfer oder The Golden Core anknüpfen können. Nur komprimierter. Die in Kopf und Herz nachhellenden Epen wie eben genannte bleiben aus. Die ausufernden Melodien, die sich zeitlupenartig entfaltenden Spannungsbögen sind für das Erste in den Hintergrund getreten. Stampfende Grooves und lautstark scheppernde Gitarrenriffs dominieren das Spielfeld der Engel und Dämonen zwischen schwarzem Loch und leerer Leinwand.

"Sail on, through the fog beyound the sea of grand delusion / I’ll be happy meandering in the shadow of my reef" (Sail On).

The times, they are a-changing. Bleibt alles anders.
foto: p. wilson



motorpsycho
"black hole / blank canvas"
stickman records 2006 2cd / 2lp
motorpsycho