Julius & Mindmoon [Marburg / Warburg, 12./14.10.2006]

Sänger Schrägstrich Songschreiber ist auf dem Plakat zu lesen, das mit Klebeband an der Innenwand des kleinen Clubs befestigt ist. Beziehen will sich die Aussage auf Mindmoon und Julius und auf beide Herren trifft dies wohl irgendwie zu.



"das nächste, ist mein vorletztes lied."
(sowohl julius als auch mindmoon)


Hünenhaft trifft es vielleicht ein wenig, wenn man die Statur des hochgewachsenen Oliver Lehne beschreiben möchte. Aber Äußerlichkeiten sind wenig relevant. Weder für seine Person noch für seine Musik. Viel mehr etwas von einem kleinen Jungen hat es, wenn er lächelnd, etwas schüchtern wirkend das Publikum begrüßt, nachdem er sich auf den Hocker gesetzt, das Mikrofon auf sich ausgerichtet und die Gitarre umgehängt hat. Teilweise begleitet von Phillip Warneke am Cello, erzählt er von T-Shirt-, und Augenfarben, dem Gefühl als dritte Dimension, dem alltäglichen Bemühungen sich gegen Gewohnheiten zur Wehr zu setzen oder von dem Unterschied der oft ungeachtet synonym verwendeten Adjektive "schön" und "hübsch". All das klingt viel sanfter, als es hier zu lesen ist. Nüchternheit gehört nicht zu den bittersüßen Betrachtungsweisen von Mindmoon, die sich dem eigenen und fremden Leben widmen. Eine seltsam schöne, poetische Diskrepanz zwischen dem filigranen Dasein in den Augen des Betrachters und der lakonischen Wirklichkeit erschließt sich, wenn man auf das zaghafte Spiel mit den Worten acht gibt. "Und die Schönste geht nicht aus; sie sitzt ganz allein zu Haus; ihre Augen schönt der Regen." (Die Schönste) "Das Cello", so gesteht er, "verleiht den Songs so viel Tiefe, dass man sie gar nicht mehr ohne spielen möchte". Kaum mag man ihm widersprechen und stattdessen erstaunt bemerken, dass Oliver und Phillip erst seit fünf Wochen eine handvoll Proben gemeinsam begangen. Die Bekanntschaft mit Julius hingegen besteht schon etwas länger.
Abwechselnd eröffnet man für einander bei den Auftritten und fühlt sich ein wenig wie eine Band auf Tour, erscheint das Leben als Sänger/Songschreiber doch sonst eher introvertiert und einsam.

Julius Kowarz hat diese äußerst seltene Begabung, einen Song bis ins Mark zu durchdringen und die darin manches Mal leider verborgene Schönheit zu Tage zu fördern. Wenn er etwa Time After Time von Cyndi Lauper singt, ein Stück der begabten und von ihm geschätzten amerikanischen Sängerin Deb Talan oder gar Driving Nowhere von Helmet, mit der Akustikgitarre auf seine Weise interpretiert. Und jedes Mal widmet er sich den Stücken mit ehrfürchtigem Respekt, spart jeden noch so leichten Griff zum entstellend Ironischen, zur Lächerlichkeit aus. "Das ist ja alles im Kopf", bemerkt er knapp, angesprochen auf das homogene einbetten einiger Zeilen des Stücks Your Ex-Lover Is Dead der kanadischen Stars in seinem Florida. So faszinierend plausibel und durchdacht wird dort mit Zitaten gespielt, als würde es kein Original geben. Wirklich Bemerkenswert sind aber diese feinen Details, diese höchst fragilen Momente, wenn Julius nüchterne Alltagsbeobachtungen so sensibel und bedacht anstellt und erlaubt, sie frei von Euphemismen durch seine Augen zu betrachten. Das sind die wirklich großen Momente. Wenn er erzählt. Wenn man ihm zuhören darf. Wenn er zusätzlich die Gedanken mit seinen Zwischenansagen erdet. "Imagine these three minutes would become a lifetime and you are the only one who knows that." (Press Repeat)

Eine selbst geplante Tour durch acht Orte, acht immer unterschiedliche Plätze mit fremden Gesichtern und sich ändernden Mentalitäten, führt die drei Herren gleichsam durch entlegene Winkel und vertraute Stätten. Zwischen Berlin und Röbel, Göttingen und Warburg, Antiquariat Poeterey und Schkeuditzer Kreuz, Donnersdance und Lebensmittelgeschäft Drude. Das Navigationsgerät als seltsam anmutendes Hightech Tool wird ein vertrauter Begleiter. Wenn man sich in so rascher Zeit so vielen unterschiedlichen Orten annährt, erschließt man sie unterbewusst mit Vergleichen; Hier ist das Essen besser, die Matratze ist dort aber weicher, gestern wurde man aber freundlicher empfangen. Solche Vergleiche scheinen die drei Herren weniger zu beschäftigen. Mit strahlendem Lächeln, wenn auch manches Mal müden Augen, begegnet man dem neuen Publikum. Aufgeschlossen, mit wacher Neugier, nicht mit gleichgültiger Routine. Dafür ist man zu sehr Musiker und zu wenig Profi. Manchmal ist das Publikum so ruhig, dass man Stecknadeln fallen hört. Ein anderes Mal ausgelassener. Lauter. Mitgerissen. Bewegt. Niemals gleich. Selbst vor einem Publikum, das Subversion für einen Energydrink halten mag, weiß man die Form zu wahren und höflich sein - in beiden Fällen - intimes Set darzubieten. "Ficken", grölt hier, am letzten Abend, jemand entfesselt, als Oliver von schönen Dingen spricht, die man tun kann. Und wenn dann doch die ein oder andere bissige Bemerkung durch die Lautsprecherboxen hallt, wirkt das weniger arrogant, als vielmehr fein und ehrlich bemerkt. "Alte Liebe rostet niemals", singt Julius im gleichnamigen Lied. "Das befürchte ich auch", fährt er fort. "Also hört nicht auf Mia. und die armen Schweine, haltet’s lieber mit Heinrich Heine: Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin in ich um den Schlaf gebracht." Es ist so kurz wie ernüchternd präzise auf den Punkt gebracht, und das rasche Ende wird vom Publikum beinahe überhört. Dass diese Zeilen von den sich teilweise abgewandten Zuhörern nicht verstanden werden, macht sie vielleicht noch kostbarer. Ein schönerer Abschluss für eine gemeinsame Tour wäre ihnen vergönnt gewesen, aber es bleiben ja schöne Menschen in den Erinnerungen.
foto: kugellager röbel

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