Gregor Samsa [55:12]

"Wären das ehrliche, flüsternde Offenbaren der tief in der Seele ruhenden Gefühle während der einen umgebenden, mitternächtlichen Ehrlichkeit und der anschließende lange Seufzer in Musik übersetzt, würde diese vermutlich wie 55:12 klingen."
(Gabriel Kalmus Katz, Sound The Sirens Magazine)


"how will we save ourselves? we must remain as one."
(what i can manage)


Mit einer fast schüchternen Schlichtheit treten dir Gregor Samsa gegenüber. Das Debüt Album, nach zwei EPs und einer kurzen Trennung, trägt den Titel "55:12" und meint damit zweifellos nichts anderes, als dass es dich fünfundfünfzig Minuten und zwölf Sekunden lang umschmeicheln wird. Es steckt in einem sehr schlichten, dunkelgrauen Pappumschlag auf welchem ein Baum in noch dunklerem Ton eingeprägt ist. Eine helle Banderole ist der einzige Hinweis auf Informationen. Gregor Samsa steht dort in wenig aufdringlicher Typografie und auf der Rückseite sind die Titel der acht Stücke aufgeführt, die zwischen zweieinhalb und über zehn Minuten Spielzeit variieren.

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." Hiermit, einer der wahrscheinlich bekanntesten ersten Sätze in der modernen Literatur, beginnt Franz Kafkas Meisterwerk Die Verwandlung. Mit den Worten "Die Durchsichtigkeit seines Stils betont den dunklen Reichtum seiner Phantasiewelt. Gegensatz und Einheitlichkeit, Stil und Dargestelltes, Darstellung und Fabel sind in vollkommener Weise ineinander verwoben", fasste der 1977 verstorbene russisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Vladimir Nabokov Kafkas Stil zusammen. Ob hier der Anknüpfpunkt zur Namenswahl der Amerikaner liegt muss man sie wohl selbst fragen. Literarisch nahe scheint ihnen jedoch auch Sten Nadolny; Sie entdecken die Langsamkeit für sich, verschmelzen Field Recordings und gehauchte Stimmen mit schimmernden Gitarren und warmen Sounddrones zu einem wehmütigen Prolog namens Makeshift Shelters.

Der Raum des Postrock ist seit jeher sehr weit, betrachtet mehr eine Wahrnehmungsweise innerhalb der Rockmusik, als einen tatsächlichen Stil. Shoegazer und Progrocker bewegen sich darin gleichwohl und, wie in der Besprechung zu dem aktuellem Album von Mogwai im Komakino Magazin zu lesen, höre der Banause hier nur Laut und Leise heraus, wobei es doch viel mehr zu entdecken gäbe. Selbstverständlich verstehen sich auch Gregor Samsa auf diese Formel, produzieren Gitarrenwände die an My Bloody Valentine erinnern und lassen den Hörer im nächsten Augenblick das leise Atmen, das Lufthohlen zwischen den Zeilen von Sänger Champ Banner gebannt vernehmen. Die drei jungen Herren und die Dame aus Richmond, Virginia, verbinden die dynamische Spielweise und das beinahe orchestrale Moment von Godspeed You! Black Emperor, das beharrliche Herausarbeiten musikalischer Themen wie es Do Make Say Think gelingt, den bezaubernden Duett Gesang der Stars, sowie das märchenhafte Element von Sigur Rós Stücken. Es sind nicht immer ihre eigenen Ideen die sie hier ersinnen, aber es sind gute Ideen die sie so nachdenklich wie herzzerreißend umsetzen.

Young And Old ist vermutlich eines der schönsten Stücke, das seit Jahren überhaupt von irgendeiner Band geschrieben wurde. Als würde man sich dem Sonnenaufgang hinter einem Hügel nähern, blinzelnd in das Licht schauen und den Hals recken um letztlich den Blick über die gesamte, sich zögerlich vor einem ausbreitende Klanglandschaft schweifen lassen zu können. So düster-romantisch wie die von Caspar David Friedrich geschaffenen Landschaftsdarstellungen im Breitbildformat, malt das Quartett hier mit Cello und Violine, mit anschwellenden Gitarrenklängen, Beckenrauschen und Klangeskapaden ihr eigenes kleines, elegisch-eruptives Meisterwerk voll zerbrechlicher Schönheit und intensiver Harmonien.

In 2002 veröffentlichte die Band ihre erste, unbetitelte EP, ein Jahr darauf den Nachfolger "27:36", räumte dann eine Pause ein, bei der man sich trennte, um dann in 2006 das erste, lang erwartete Album vorzulegen. Die Aufnahmen zu "55:12" begannen schon 18 Monate vor dem Herausbringen und es sollte ein langer Weg werden, bis man sich tatsächlich zu der Veröffentlichung entscheiden sollte und ein Label dafür fand. Dieser stete Selbstzweifel ist wohl das einzige Merkmal, welches man mit der Figur aus Franz Kafkas Erzählung gemeinsam hat.

Im Unterschied zu stilverwandten Bands wie Mogwai oder Explosions In The Sky, die in ihren Kompositionen weitestgehend auf Gesang verzichten, legen Gregor Samsa wert auf Sprache. Die tiefe, ruhige Stimme von Champ Bennett korrespondiert eindringlich mit dem engelsgleichen Gesang von Nikki King, ergänzt diesen wundervoll und erinnert in den besten Momenten an Amy Millan und Torquil Campbell der kanadischen Band Stars. Sie wagen sich an manierierte, pathetische Zeilen. "How long till I fall in love?", fragen die beiden immer wieder dialogisierend, anschwellend, schmachtend in dem Stück The Points Balance, und die cinematographischen Klangatmosphären, akzentuiert mit Piano und Gitarre benötigen nicht lang, bis sie einen vollends in den Bann gezogen haben. Zwischen Trost und Klaustrophobie hingegen bewegt sich das Stück We’ll Lean That Way Forever, in welchem ein konstant dröhnender Bass auf Störgeräusche trifft. Schritte werden wahrnehmbar, Holzdielen knarren und von ganz weit weg scheint sich eine entrückte Stimme anzunähern. Ihre Sätze überlagern sich, das Lo-Fi Rauschen erklärt sich daher, dass Nikki King den Text mit einem Diktiergerät aufnahm.

"It’s all ending now", erklingt in einem repetitiven Arrangement des letzten Stückes Lessening. Der Klang der Stimmen schwellt an. Irgendwo erklingt eine Lapsteel Guitar, ein warm waberndes Rhodes Piano tritt aus einer Lärmwand hervor, begleitet die letzten Klänge der Melodie einer Gitarre und lässt dich mit einem einzigen, abschließenden Moll Akkord zurück. Dann herrscht Stille. Nach fünfzig Minuten und einunddreißig Sekunden öffnest du die Augen wie nach einem hypnotischen Schlaf. Du wachst auf und spürst, dass irgendetwas anders ist.
foto:



gregor samsa
"55:12"
own records 2007 cd
gregor samsa

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Manuele Fior [Menschen Am Sonntag]

Eine Liebesgeschichte.
Der italienische Illustrator Manuele Fior bebildert in seinem poetischen, ersten Comicalbum die Liebe zu Berlin, zu Italien, zu Freunden, Freiheit, Entschlossenheit, Erwachsenwerden, Musik, dem Leben und sich selbst.


"sieh mal alice, wie gut man die stadt von der warschauer brücke aus sieht."
(fausto)


Was die Stadt Berlin zwischen szenebewusster Weltmetropole, obligatorischem Großstadtmoloch und geschichtsträchtiger Identifikationsfolie ausmacht, wird in seiner Vielschichtigkeit auch dann deutlich, wenn man die subjektiven Betrachtungen einzelner Bewohner der fast dreieinhalb Millionen Einwohner zählenden Stadt anschaut; Berlin ist für mich nationale Selbstverständlichkeit; Berlin ist für mich ein Treibhaus; Berlin ist für mich mit der U-Bahn zu fahren, einen Kaffee trinken zu gehen, meine Familie und Freunde in der Nähe zu haben und öfters gestresst zu sein von all der Hektik; Berlin ist für mich nach wie vor the place to be; Berlin ist für mich in erster Linie ein Phantasieraum, ein Raum, der nicht von der Realität der unmittelbaren Erfahrung losgelöst ist, der aber Freiheit lässt, und in den Wunschphantasien, aber auch Angstphantasien einströmen können. Beliebige Reaktionen von Politikern, Künstlern, Angestellten und Blogschreibern auf die Google Suchanfrage "Berlin ist für mich".

In die Reihe dieser Laudatoren stellt sich auch der 1975 in Cesna, Italien geborene und mittlerweile in Norwegen lebende Manuele Fior, mit seiner ersten albenlangen Geschichte, in welcher er der Stadt einen intimen Blick widmet. "Als Hommage an seine Wahlheimat", heißt es im Klappentext: "die Geschichte einer typischen Gruppe von Italienern im Ausland – mit einigen autobiografischen Zügen". Ganz so typisch erscheinen die wenigen eingeführten Charaktere gar nicht, wenn man sie etwa im scharfen Kontrast zur Außenbeobachtung von Jan Weiler und seinen Antonio Büchern sieht; Deutlich weniger grell, und lautstark, doch mit genügend Leidenschaft und einem innigen Heimatgefühl zu Bella Italia.

"Menschen am Sonntag" erzählt von dem jungen Italiener Fausto, der sich dazu entschlossen hat Berlin zu verlassen, um in seine Heimat zurückzukehren. Und auch wenn dieser Entschluss fest steht, schildert Fior in seinen eindrucksvollen schwarzweiß Zeichnungen die innerliche Zerrissenheit, beschreibt die letzten Stunden Faustos mit seinen Freunden und vor allem seiner ehemaligen Freundin Nina in Berlin Friedrichshain. Zwölf Stunden erhalten wir Einblicke in das Leben der Gruppe junger Italiener in Berlin, von der einbrechenden Nacht in einem "Das Loch" betitelten Club in der Rigaer Strasse bis zum anschließenden Mittag.

Der junge Architekt und Illustrator weiß verschiedene Mittel dezent einzusetzen, um die Geschichte auf den 48 Seiten zu modellieren. Mit einem geschickten Wechsel der Erzählperspektive vom Ich- zum auktorialen Erzähler auf den ersten Seiten, gelingt es ihm nicht nur den Leser näher an die Geschichte heranzuführen, sondern auch ein zaghaftes Verwirrspiel mit den fiktionalen Ereignissen und seiner realen, autobiografischen Person einzuleiten. Er weiß zu den richtigen Augenblicken seine Liebe zum Detail auszukosten, wenn Nina und Fausto etwa auf die Nachtlinie 20, "das Rettungsboot" menschen am sonntag zwischen Friedrichshain und Prenzlauer Berg warten, oder Nina sich traurig, eine Zigarette anzündend in ihrem Zimmer findet; Sie legt "Closer" von Joy Divison auf und Love Will Tear Us Apart erfüllt den Raum. Es sind diese Details, von denen "Menschen am Sonntag" lebt.

Fior beweist ein feines Gespür dafür, wie er neben den Zeichnungen und dem sparsamen Text besonders durch die Form der bildlichen Darstellung zu erzählen weiß; Wird die Handlung im Verlauf hektischer, so werden analog dazu auch die Panel immer skizzenhafter. Kommen sich an anderer Stelle Fausto und Nina noch einmal näher, werden aus detailreichen Zeichnungen immer schemenhaftere Bilder, werden die reinen, passiven Beobachtung des Lesers zu induktiven Schlüssen und wird somit die intime Zweisamkeit der beiden Figuren gewahrt. Diese Art der szenischen Konzeption stellt zugleich aber auch einen Makel dar, verwirrt und irritiert sie den Betrachter doch unter Umständen in seinem Gefühl für Ästhetik. Im schlimmsten Falle wirkt dieser Schritt auch der homogenen Struktur, der Geschlossenheit der bildlichen Umsetzung und dem wieder erkennen der Figuren entgegen. Missversteht man dieses Stilmittel und gibt der Geschichte nicht genügend Zeit - denn auch gerade aufgrund der wenigen Textpassagen ist man geneigt dazu die Darstellungen viel zu schnell zu überblättern - ist dies dem eigentlichen Genuss nicht dienlich und wird dem Comic nicht gerecht.

Vielleicht kommt dem Zeichner auch sein Architekturstudium dabei zu Gute, einen sehr intensiven Blick für Menschen, Gebäude und deren wechselseitige Beziehung zu haben, den er in seinem Album prägnant wahrt. Das Spiel mit den Kontrasten von Tag und Nacht, Licht und Schatten, adaptiert der Künstler zu seinem eigenen zeichnerischen Stil, seiner Weise den bittersüßen Kontrast zwischen Liebe und Enttäuschung, Abschiedsschmerz und Entschlossenheit visuell zu konturieren. Leichtfüßig stellt er so die Offenheit der ungebundenen Lebensweise der jungen Erwachsenen in seinem fingierten Berlin, dem inneren Zwang sich entscheiden und das eigene Leben strukturieren zu müssen, gegenüber. Am Ende soll es aber der italienische Musiker Paolo Conte auf den Punkt bringen: "Via, via, vieni via con me! It’s wonderful, good luck my baby".
foto: comic salon / zeichnung: menschen am sonntag


manuele fior
"menschen am sonntag"
avant verlag, 2006
manuele fior

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Motorpsycho [Black Hole / Blank Canvas]

God lived, live on.
Jenseits von Hypes bewegten sich Motorpsycho auf ihren Alben schon immer völlig selbstverständlich, und so können sie auch nach über drei Jähriger Pause einfach wieder da sein.


"through the mirror down the hole, lose your way but find your soul."
(with trixeene through the mirror, i dream with open eyes)


Auf billigen Motorrädern fahren die drei Halbstarken durch die Einöde Kaliforniens auf der Suche nach dem schnellen Kick. Archetypen abgehalfterter Klischee Rocker, gesellschaftlicher Wracks, nach Ärger schreiend und Frauen anderer Männer belästigend. B-Movie Ästhetik. Film Noir. Low Budget. Motorpsycho.

Der 2004 verstorbene, brustfixierte König des Trashfilms Russ Meyer scheint von unzähligen Musikern in den frühen Neunzigern rezipiert worden zu sein, betrachtet man die Bandnamen, die in Anlehnung an seine Filme inspiriert worden sind. Mudhoney. Faster Pussycat. Oder eben Motorpsycho. Die Norweger haben den entliehenen Namen jedoch längst überdauert. Das ehemalige Trio aus der norwegischen Industriestadt Trondheim wusste stets neue stilistische Nischen aufzumachen und sich von Album zu Album zu entwickeln. Die Arbeitswut mit einem veröffentlichten Album pro Jahr ließ in letzter Zeit jedoch nach. Seit "It’s A Love Cult", dem letzten regulären Album, sind bereits dreieinhalb Jahre vergangen. Dann stieg 2005 Håkon Gebhardt aus der Band aus. Über die vierzehn Jahre hinweg, in denen er die Band begleitete war er mehr als der Schlagzeuger, schrieb verschiedene Stücke und involvierte manch skurrile Idee in die Musik. Mit dem Zerfall dieser Dreifaltigkeit musste ein Bruch entstehen. In dem mit Akustik Gitarre vorgetragenen Stück Fury On Earth wird – wenn auch mit gewollter Ironie - eben jener klar. "It's so much easier to move with the changes, whenn all the Daemons are let out of their box", heißt es dort. "The love cult selfimploded fat" und "no slow phaseouts". Rückbezüge auf vergangene Alben. Als Duo stehen Hans „Snah“ Magnus Ryan und Bent Sæther nun vor der weißen Leinwand. "Black Hole / Blank Canvas". Willkommen in Zweitausendsechs.

Im Vorfeld zu diesem neuen Doppel Album – dem dritten in der Bandgeschichte - las man des Öfteren Gerüchte, die Band würde musikalisch zu ihren Wurzeln, zur härteren Gangart, zu den frühen Tagen zurückkehren. Das Begehren zur ungestümen Jugend. Eine verfrühte Midlifecrisis. Vorbei sei die Zeit, in der man Streicher Arrangements mit den lauten, treibenden Gitarren verband, in der eins nach dem anderen ein Konzeptalbum entstand, in denen man mutig experimentierte und zwischen zärtlichen Balladen und ausufernden psychedelischen Improvisationen wechselte. Zwischen Sixties Allüren und Alternative Country. Stoner Rock und Jazz.

Dass "Black Hole / Blank Canvas" tatsächlich mehr Wert auf Gitarren und Rhythmus legt, lauter ist als die Pop und Jazz inspirierten Vorgänger "It’s a Love Cult", "Phanerothyme" und der "In The Fishtank" Kollaboration mit dem norwegischen Ensemble Jaga Jazzist, lässt sich nicht in Frage stellen und eine gute Beobachtungsgabe ist für diese Einsicht ebenfalls nicht von Nöten. Doch Motorpsycho würden einen qualitativ herben Rückschritt begehen, wäre dies alles, was man von dem neuen Werk sagen könnte. Was sich hier in den siebzehn Stücken entfaltet ist vielmehr eine Verbindung unterschiedlichster stilistischer Ausprägungen, deren Größe im Detail ruht. Die Band wandelt auf dem schmalen Grad zwischen gestern und heute. Tradition und Innovation. Und im Gegensatz zu anderen Duos aus ähnlichen musikalischen Gefilden beschränken sich die beiden keinesfalls auf Schlagzeug und wahlweise Gitarre oder Bass, sondern spielen die Instrumente einer sechsköpfigen Rockband mal eben selbst ein.

Das treibende, zunächst nur durch eine Akustik Gitarre im Rhythmus zusammengehaltene Devil Dog verbindet die vorlieben für Country und Südstaaten Verweise der Tussler Society mit frühen Bezügen zum dritten Album "Demon Box". Das Moondog bzw. Big Brother And The Holding Company Cover All Is Loneliness kommt dem Kenner in den Kopf. In Our Tree erinnert mit seinem gerade nach vorn gehendem Schlagzeug und dem dröhnenden Bass im Refrain an "Angels And Daemons At Play". Die Pop Anleihen von Kill Devil Hills weichen schnell einer psychedelischen Lärmorgie, kantig genug, um sich deutlich von derzeit populären Kompositionen abheben zu können. Und Hyena eröffnet die zweite Seite schließlich mit dem Song, den sich mancher Fan seit "Blissard" gewünscht hatte. Mit L.T.E.C. zitiert man sich im Titel selbst und lebt Seventies Blues Rock, der sich (auf Vinyl) endlos in Hall verliert. Bent Sæthers kratzige Stimme bereichert die Songs immer noch mit diesem lächelnden Unterton, dieser blumigen, verträumten Note, selbst wenn sein rumpelnder Bass vom Gegenteil zeugen will. Und Snahs mal ungestümes, mal zaghaftes Gitarrenspiel und sein zarter Gesang mit der nordisch akzentuierten, englischen Aussprache lassen das wunderschöne und scheinbar endlose Before The Flood in einem ganz besonderen Charme erstrahlen.

All diese Stücke sind aber weder Plagiate noch altbackene Reminiszenzen an alte Werke, es ist ein Experimentieren mit dem Bevorstehenden, ein Ausloten der Möglichkeiten, die einem als verbliebenes Duo nach dem Bruch offen stehen, und ein konstanter Schritt nach vorn, auch wenn er musikalisch eher zurück in die Neunziger zu gehen scheint. Wenn nach vier Minuten und siebenundzwanzig Sekunden in dem elegischen Stück The 29th Bulletin – verweisend auf einen Rundbrief Napoleons, in welchem dieser die Niederlage der französischen Armee in Russland eingestand – die Streicher gemeinsam mit Piano, Gitarren, Schlagzeug und Bass ein letztes Mal wehmütig losbrechen, die Zeilen "Beautiful, beautiful emptiness / Speachless and babbling / Just one big mess / Selfobsessed, immature and insecure" verlautet werden, dann ist klar, dass Motorpsycho immer noch an diese schwermütigen Großtaten wie Vortex Surfer oder The Golden Core anknüpfen können. Nur komprimierter. Die in Kopf und Herz nachhellenden Epen wie eben genannte bleiben aus. Die ausufernden Melodien, die sich zeitlupenartig entfaltenden Spannungsbögen sind für das Erste in den Hintergrund getreten. Stampfende Grooves und lautstark scheppernde Gitarrenriffs dominieren das Spielfeld der Engel und Dämonen zwischen schwarzem Loch und leerer Leinwand.

"Sail on, through the fog beyound the sea of grand delusion / I’ll be happy meandering in the shadow of my reef" (Sail On).

The times, they are a-changing. Bleibt alles anders.
foto: p. wilson



motorpsycho
"black hole / blank canvas"
stickman records 2006 2cd / 2lp
motorpsycho

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PeterLicht [Wir Werden Siegen!]

PeterLicht gilt als „Phantom der Popkultur“: lange Zeit war nirgendwo ein Blick auf den deutschen Ausnahmekünstler zu erhaschen. Jetzt ist er erstmalig auf Tour. Und der guten Gründe dafür gibt es gleich zwei: die wunderbare neue Platte „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ sowie das Buch „wir werden siegen!“ Erleuchtung garantiert.


"die schwerkraft wird überbewertet."
(lied gegen die schwerkraft)


Das "Vorprogramm" von PeterLicht kann man sich eigentlich sparen: Im Rahmen des Dortmunder "LesArt Festivals" las er am vergangenen Freitag nach Oliver Maria Schmitt. Letzterer kann lediglich mit einem guten Buchtitel aufwarten: "Anarchoschnitzel schrieen sie" lautet der, aber schon der Untertitel holt wieder auf den Boden zurück. "Der Punkroman für die besseren Kreise"? Für schlafende Kreise vielleicht. Was Schmitt da liest – so furchtbar klischeehaft im 70er-Jahre-Tapeten Hemd und mit dem Glas Rotwein immer griffbereit – ist langweilig und eigentlich schon längst wieder out. Das ist der späte Sprung auf das "Fleisch ist mein Gemüse"-Trittbrett, Geschichten über eine verlottert-punkige Dorfjugend, irgendwo zwischen unserer Generation und der unserer Eltern. Aber zum Glück entschädigt der Kölner Musiker und frische Buchautor PeterLicht danach für alles!

Groß angekündigt wurde er zuvor als Deutschlands "aussagekräftigster Welterklärer", und das ist vielleicht etwas hoch gegriffen, wo man ihn doch noch immer ungestraft als Geheimtipp bezeichnen dürfte. Spätestens an diesem Abend hat er aber bewiesen, dass er das nicht mehr lange bleiben wird. Darf. Kann. Tatsächlich wird mit seinem Erscheinen auf der Bühne auch gleich das erste, vielleicht größte Rätsel des Abends gelöst. Denn PeterLicht ist – trotz Reim – der Mann ohne Gesicht. Auf den raren Pressefotos zeigte er sich bisher nur mit einem Haufen Kissen vor dem Gesicht oder dem Rücken zur Kamera. Während eines Auftritts in der Show seines bekennenden Fans Harald Schmidt wurde lediglich sein Körper, nicht aber sein Gesicht gefilmt. Und auch der eigenen Tour zu seiner zweiten Platte "Stratosphärenlieder" blieb er fern. Die Besucher mussten Kartoffelmännchen basteln, während sie an ungewöhnlichen Orten den neuen Songs über Kopfhörer lauschten.

Gemeinsam mit einem Pianisten, einem Schlagzeuger (dessen Drumkit zu 80% aus Pappe und Sand besteht) und seiner Gitarre betritt PeterLicht dann aber tatsächlich die Bühne. Nette Leute. Neeeette Leute! PeterLicht sieht aus wie ein studierter Vater, der normalerweise nachmittags mit einer kleinen Tochter spielt. Und sich die Abende mit "seinen eigenen Tupperparties" vertreibt. Wie sich herausstellt, ist dieser Mann sehr freundlich, auf eine zurückhaltende Art und lustig, und trotz des hohen Zauns um seine Intimsphäre irgendwie offen.

Das Trio beginnt mit dem Lied vom Ende des Kapitalismus, dem aktuellen Gassenhauer und Titeltrack des neuen Albums, und zieht damit gleich das Publikum in seinen Bann. Es folgen weitere neue Songs, ziemlich politische Lieder, wie man sie von PeterLicht gewohnt ist - aber ausnahmsweise mal auf eine tanzbare Art und Weise. Ob es nun um die "alte Tante Wohlfahrtsstaat" geht oder um Amerika, wo "zwei Flugzeuge mal in zwei ziemlich hohe Häuser gerast sind". Wunderschöne Melodien vereinen sich hier mit Texten, die mit der deutschen Sprache spielen, wie es lange keiner zustande brachte.

Deshalb hat PeterLicht gleich auch noch ein Buch veröffentlicht: "Wir Werden Siegen!" ist eine Sammlung von Geschichten, Gedichten und anders gearteten Texten, die parallel zum Album entstand und jetzt im Blumenbar Verlag erschienen ist. Dieses Buch sprüht vor Charme, Ideen, versteckten Botschaften. Der größte Lacher sind wohl die ganz speziellen Berufsdefinitionen: "Schauspieler. Schauspieler sind keine Menschen. Sie tun nur so". Toll ist auch, wenn PeterLicht dann einfach eine Seite aus seinem Buch verteilt, kopiert, einen Liedtext, und das sitzende (gute Wahl!) Publikum kurzerhand zum Chor macht. Und während die Zettel herumgehen und "jeder sich bitte mal einliest", hat dieser Mann plötzlich eine stilechte Sitar im Schoß! Das folgende Lied Wir Sind Jung Und Machen Uns Sorgen Über Unsere Chancen Auf Dem Arbeitsmarkt wird zu einem der Höhepunkte des Abends.

PeterLicht schafft es, sein Publikum zu betören auf die gleiche natürlich-naive Art, wie seine Texte sind, und genau wie dort hat er auch in seinem Treiben auf der Bühne bestimmt einen heimlichen Zauber versteckt. So eine PeterLicht-Konzert-Lesung, denkt man bei sich, ist derart romantisch, dass sie wohl perfekt für ein erstes Date wäre. Und so inspirierend, erhebend – gemütlich! Wer sein Publikum nicht nur zum Lachen und vielleicht Weinen, sondern gar zum Kichern bringt, der muss wahrlich groß sein. Also, liebe lichterleser: Kauft lieber das Buch, "Wir Werden Siegen!", und nicht die Platte. Denn PeterLichts Musik sollte man am besten live erleben – einen so großen deutschen Welterklärer hat man lange nicht gehört.
foto: motor



peterlicht
"wir werden siegen!"
blumenbar verlag 2006
peterlicht
oliver maria schmitt
lesart festival

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Torsten Woywod (Hrsg.) [Sprach:Rausch]

Sein Rennrad für einen Traum.
Dass "relativ viele" vom eigenen Buch träumen, ist Torsten Woywod bewusst. Dem 1981 in Duisburg geborenen Germanisten ging es allerdings nicht bloß darum, die eigenen Texte endlich in gedruckter Form an den Mann bringen zu können. Er wollte mehr: Eine Anthologie mit jungen, viel versprechenden Autoren. Und zwar ganz nach der guten alten "Do It Yourself" Tradition!


"der regen in brailleschrift auf der haut."
(herbert hindringer, es fehlt etwas)


Bewusst wurden dem "langjährigen Sprachästheten", wie er sich selbst nennt, Grundlagen seines späteren Konzeptes während der Arbeit als Buchhändler. "Dort fiel mir auf, wie oft Titel großartig von Verlagen beworben werden und letztlich inhaltlich relativ mager sind", beklagt er. Mit all dem Geld, das allein für Werbemaßnahmen "verschwendet" werde, könne man so vielen jungen, unbekannten Autoren eine Plattform bieten, die wirklich schreiben können und ein Buch verdient hätten. Mit diesem Hintergedanken las er in unterschiedlichen Internet Communities wie jetzt.de oder neon-magazin.de die Texte der dortigen User und filterte sich jene heraus, die zu seiner Idee passen könnten.

"Jungen, talentierten Nachwuchs-Autoren eine Plattform zu bieten, weil sie bisher leider nicht bei den – vermeintlich - großen Verlagen unterkamen, obwohl sie sich längst um einen größeren Namen verdient gemacht haben", so fasst Torsten Woywod das Konzept der von ihm herausgegebenen Anthologie "Sprach:RAUSCH" zusammen. Für dieses Projekt konnte er letztlich nicht nur Community-Autoren wie Anna Maria Dahms (vgl. auch den 600 Wörter Beitrag, Anm. d. Tippse) oder Natalia Breininger gewinnen, sondern auch die beiden Bachmann-Teilnehmer Susanne Heinrich und Michael Stauffer. Bei der Auswahl der Texte legte der Herausgeber großen Wert auf eine "besondere Sprache". Wortkompositionen, die die Erzählungen zu etwas besonderem machten.

Doch als nach etwa einem Jahr alle Autoren feststanden, war die Arbeit noch lange nicht getan – sie fing vielmehr erst richtig an. Plötzlich kam all der formelle, bürokratische Kram: Neben Lektorat und Layout mussten Verträge aufgesetzt und ein Gewerbe angemeldet, Steuer- und ISBN-Nummern beantragt werden. An vieles, so gibt Torsten zu, denkt man zunächst gar nicht. Und auch finanziell gesehen mag die ein oder andere Überraschung dabei gewesen sein. Stellt sich natürlich die Frage: Wie bezahlt ein Student aus dem Hochsauerland die Produktion eines ganzen Buches? "Die Antwort darauf ist ein bisschen blöd", findet Torsten, der nebenbei auch selbst schreibt und mit dem Text Die Traurigen Tapeten in "Sprach:RAUSCH" vertreten ist. "Ich habe mein teures Rennrad verkauft."

Dank dieses und sicher noch weiterer Opfer und seines leidenschaftlichen Einsatzes konnte er seinen Traum verwirklichen. Herausgekommen ist eine 112 Seiten starke Anthologie mit 30 Texten von 18 jungen Talenten, die in unterschiedlichsten Stilen fremde Orte, Menschen und Gedanken beschreiben und beim Leser die verschiedensten Gefühle heraufbeschwören. Sei es die vor Bildern sprühende, verstörende Geschichte Filz von Judith Sombray oder der von Herbert Hindringer eindringlich beschriebene Wendepunkt einer Beziehung in seinem Text Es Fehlt Etwas. Die "Sprach:RAUSCH" Geschichten schaffen es zu begleiten und zu beschäftigen. Sie beeindrucken tatsächlich durch Wortkombinationen und fantasievolle Metaphern, können aber auch einmal ganz schlicht daherkommen. Fast alle sind in Ich-Form verfasst, wie auch Emma & Jonas von Elisabeth Rank, neben Henry von Judith Sombray eine der zwei Fortlaufgeschichten, die aufgeteilt, durchnummeriert und auf das Inhaltsverzeichnis verteilt wurden und deren Figuren so immer wieder im Buch begegnen. Eine schöne, vielleicht verspielte Abwechslung.

Trotz dieser roten Fäden, die sich durch die Anthologie ziehen, funktioniert sie doch auf eine bestimmte Weise am besten und unterscheidet sich so von anderen Büchern. Denn durch die vielen starken Geschichten wird sie ihrem Titel sehr gerecht: Liest man das Buch am Stück, dann rauscht es nur so, vielleicht auch "nur so vorbei". Und um dieser Gefahr zu entgehen, sollte es vielleicht liegen gelassen und hin und wieder zur Hand genommen werden, um sich dann von einem oder zwei Texten beeindrucken zu lassen. So entfaltet "Sprach:RAUSCH" sämtliche Facetten.

Derweil ist auch der Herausgeber beeindruckt: Torsten Woywod freut sich über "durchweg positive" Reaktionen und das gebrauchte Rennrad, das er inzwischen als Ersatz hat. Sein Fahrrad verkauft zu haben, bereut er sicher nicht. Viel wichtiger war ihm, seinen langjährigen großen Traum umzusetzen. Jetzt blickt er glücklich und zufrieden auf das fertige Buch in seinen Händen – aber gleichzeitig auch in die Zukunft. Eine weitere Anthologie ist bereits angedacht.
foto: börsenblatt



torsten woywod (hrsg.)
"sprach:rausch"
torsten woywod verlag 2006
torsten woywod

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My Latest Novel [Wolves]

Es waren einmal vier Buben namens Chris, Paul, Gary, Ryan und ein Mädchen mit dem Namen Laura. Alle zusammen auf einen Haufen geworfen ergeben sie meine kleine, persönliche Neuentdeckung namens „My Latest Novel“.


"sunshine comes and steals my nightmare."
(sister sneaker, sister soul)


Ich stehe nachts um kurz vor 3 Uhr in meinem Badezimmer vor dem goldumrahmten, alten Spiegel und höre die ersten Töne und Klänge des ersten Liedes Ghost in the Gutter. Es erinnert mich an mein erstes Sigur Rós Album und an einen traurigen Nachmittag bei einem Jungen zu Hause. Das Wasser steht mir schon in den Augen, als nach dem langen Gitarren- und Geigenspektakel ein Männergemische an Stimmen einsetzt und mich ruckartig aus den alten Erinnerungen fischt. "Ghost in the Gutter, doesn’t really matter", singt eine sanfte Männerstimme und ich fühle mich auf eine bestimmte Art und Weise geborgen. Die Tränen stehen mir noch immer haushoch in den Augen und werden auch bei den folgenden Liedern nicht verschwinden. Pretty in a Panic beschreibt so dermaßen gut mein Herzgefühl, dass ich mich für einige Momente so unglaublich schwach fühle. Jeder Atemzug ist ein Gewitter, jeder Wimpernschlag ein Donner und jede noch so kleine Bewegung ein Blitz durch meinen ganzen Körper.

Mit dem nächsten Lied Learning Lego habe ich mein persönliches Lieblingslied gefunden. Man kann die Handbewegungen förmlich spüren, wie sie die Gitarrensaiten zu einer unheimlich schönen Melodie zupfen. Kaum werfen die durcheinander gewirbelten Stimmen um sich, stehen meine Tränen auch schon nicht mehr. Sie verzieren kreuz und quer mein Gesicht bis hin zu meinem Dekoltée. Wäre jetzt Jemand in meinem Bett, ich würde mich neben ihn legen und einfach seine Hand nehmen, nur um zu wissen, dass da Jemand ist.

Kleine Geste mit großer Bedeutung. Doch durch manch einen lauten Trommelschlag, unterlegt mit einer Art Kinderchor, erschrickt sich mein Herz und keine drei Momente später geht es ihm wieder besser. The Hope Edition erinnert mich an ein Märchen oder eine Kindheitsgeschichte, die mir mein Vater damals immer zum Einschlafen vorlas. So schön unbeschwert und sorglos, wie eben die meisten Kindheiten es waren. Die Männerstimme schmeichelt mir und ich würde in diesem Moment, mit diesem Lied und diesem Mann gerne auf eine bunte Blumenwiese flüchten, mich mit ihm in die verschiedenen Blumenarten schmeißen und einfach nur wohl fühlen.

Lange stehe ich vor dem Spiegel, betrachte mich selbst, weine mir die Augen rot und bin nun schon bei der Hälfte der Platte angekommen. The Job Mr. Kutz Done erinnert mich mit seinen ersten Klängen sofort an die Kings of Convenience oder auch an Hôtel Costes. Kurz vor Schluss, nachdem der Sänger das Lied mit gesprochenen Worten umschmeichelt, fängt ein Stimmengemisch mit heiteren Takten an und schon wieder gerate ich in eine kleine Kindheitserinnerung. Diesmal keine Gutenachtgeschichte, sondern ein blauer Himmel über einem Jahrmarkt. Als ich Kettenkarussell fuhr, der Wind meine Haare durchwühlte, als würde er etwas darin suchen und meine Backen von dem langen Lachen schon anfingen zu schmerzen. Sister Sneaker Sister Soul ist die erste Single-Auskopplung dieser wunderbaren Bande und hört sich für mich ein wenig wie ein Liebeslied an. Und genau bei diesem Gedanken wünschte ich, dass der Sänger mich auch mal so besingen könnte. Nur ganz kurz als eine kleine Herzmedizin. Gleichzeitig ist es das erste Lied auf dem Album "Wolves" bei dem ich keine funkelnden Augen habe. Die Tränen sind verschwunden und das Herz zieht sich zusammen und wieder auseinander, weil das Lied lieblich das Herz zu berühren scheint. Eine kleine und flüchtige Berührung und schon bringt es mich um den halben Verstand.

Ein Junge erzählte mir einmal, dass der Track sieben eines Albums oftmals der beste oder beliebteste Song ist. Was natürlich nur eigentlich seltsame Spekulation ist, muss ich sogar zugeben, dass er beinahe recht behielt. When We Were Wolves hört sich simpel aufgebaut an und trotzdem kann ich kaum einen Tag die Finger und Ohren von diesem Lied lassen.

Obwohl viele der Lieder inhaltlich wenig abwechslungsreiche Texte haben, der Schwerpunkt ihrer Musik ist die Musik. Die Töne, Klänge, Rhythmen und Takte, gemischt mit einigen Wortfetzen, die sich wie kleine Geschichten anhören. Doch ein kleines Gegenstück dazu ist das Lied Wrongfully, I Rested. Es besteht aus viel Sprechgesang, unterlegt mit vielen Instrumenten. Gebauschte Töne werden zu Gefühlen verarbeitet und hören sich einige Momente an wie ein Mädchen-Märchen. Wenn der Prinz auf dem großen, starken Pferd daher geritten kommt, einen rettet und um den Verstand küsst.

Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass manche Lieder von My Latest Novel Märchenmusik für Erwachsene sind, die sich gerne an Damals erinnern und nebenher auch Musik wie von Belle & Sebastian, Mogwai oder Sigur Rós mögen.

Boredom Killed Another besteht aus einem unheimlich schönen Gitarrenspiel, gemischt mit kleinen undefinierbaren Klängen, die sich ab und zu zwischen die Melodie quetschen und den Blutdruck auf das Minimum sinken lassen. Durch die am Schluss einsetzenden Stimmen kriegt der Blutdruck ein paar Hüpfer und Aussetzer, die einem klar machen, dass es einen gibt. Dazu braucht man auch Niemanden der auf dem Bett liegt und die Hand ausbreitet, damit man danach greifen kann. Das leider schon letzte Lied The Reputation of Ross Francis hört sich wie eine Geschichte an, dir man mir gerade erzählt. Einerseits macht es mich traurig und ich starre mit leeren Augen in den Spiegel, aber dann bringt es mein Herz wieder zum wilden Schlagen und ich würde am liebsten raus auf die Straße gehen und mit meinen Gefühlen das zerreißen, was mich zu zerreißen droht.

Nun stand ich ein ganzes Album vor diesem Spiegel, nachts als draußen nur noch Katzen und Betrunkene unterwegs waren, das Laternenlicht flackerte und meine glasigen Augen meine Person beobachteten. So ähnlich wie Moritz Bleibtreu, der mit 2 Jahren weinend vor dem großen Spiegel bei sich zu Hause stand und sich beim weinen zusah.

Diese fünf Geschöpfe, die mein Herz auf eine so sanfte Weise zerreißen und wieder zusammensetzen, die mich zum weinen und zum lächeln bringen, haben es allemal in mein Plattenregal geschafft. Sie liegen ganz oben, wenn nicht sogar schon über meiner Sigur Rós Platte. Jeden Tag streiche ich mit meinen Fingern über das wunderschöne Cover und denke mir Warum heißt euer Album "Wolves"? Ihr seid für mich das doch das Gegenteil von Wölfen. Ihr seid meine Schafe, die mir das Gefühl geben, als würdet ihr alle auf meinem Bett liegen und jeder hätte ein Händchen für mich frei, falls es mir schlecht gehen sollte. Als letzten und vollkommen passenden Satz fällt mir nur noch ein; Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kriege ich heute immer noch weiche Knie von ihrer Musik.
foto: mark connelly



my latest novel
"wolves"
bella union 2006 cd
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Mogwai [Mr. Beast]

Auto Rock.
Der Feierabend-Prolet mit dem Ramones Shirt von H&M und das Gucci Girl haben eines gemein: den inflationären Gebrauch des Begriffes Rock. Die Industrie hinterlässt fade Beliebigkeit und übersieht was sich jenseits von Trends tatsächlich dahinter verbergen kann.


"what happened after the storm? is everyone ok?"
(acid food)


Der Schwebezustand wird nur kurz anhalten. Es ist ein knappes Durchatmen. Weit aufgerissene Augen, erwartungsvoll gekräuselte Lippen. Die Spannung in der Luft wird sich gleich wieder vollends entladen, aber für den Moment regiert eine fast zaghafte Melodie, schmerzlich aber dennoch zielstrebig. Fünfundzwanzig Sekunden.

Mogwai mitbegründeten jenes Genre, welches man heute im Feuilleton als Postrock bezeichnet. Die laut / leise Dramaturgie inszeniert bis heute niemand exzessiver als die fünf Schotten. Zwischen einem startenden Jet und dem fallen der sprichwörtlichen Stecknadel schwangt die Lautstärke und ist dennoch mehr als bloßer Krach. Es geht um Schönheit und Leid. Als versuche man mit einem Presslufthammer Mona Lisas Lächeln nachzuziehen, mit einem Megaphon Werthers Leiden zu rezitieren. Was sich hier zu einem Ensemble zusammenfügt ist der Lärm eines nebulösen Schmerzes. Schwermut mit drei ohrenbetäubenden Gitarren. Was bleibt ist die Kapitulation. Man empfindet diese bittersüße, konturlose Anmut, die kaum eine andere Band lauter zeichnet. We’re No Here ist ein solch dröhnender Behemoth, der sich erst langsam dann schnaubend zur vollen Größe entfaltet.

Die Zeit der ausufernd angelegten Hymnen scheint jedoch vergangen. Kein elfminütiges Like Herod, kein über zwanzigminütiges My Father, My King mehr. Als würden die lauten Epen zu nicht minder intensiven Haikus gebündelt; selbst wenn Tetsuya Fukagawa, Sänger der japanischen Hardcore Band Envy, in I Chose Horses mehr als die siebzehn Lautsilben benötigt, um dem Stück einen ganz eigenen, monologischen Zen-Charakter zu verleihen. Dass man, dem Japanischen nicht mächtig, kein Wort des Textes verstehen wird, scheint nur konsequent. Worten räumte man bei den Schotten noch nie übermächtige Bedeutung ein. Auch wenn auf "Mr. Beast" letztlich auffällige drei der zehn Titel mit mal gesprochenen mal gesungenen Worten bedacht sind, werden die Texte nicht im Kopf des Hörers bleiben. "Meistens ist es so, dass der Song fertig ist, aber nicht so klingt, als ob er fertig sei. Dann fügen wir noch Gesang ein, quasi als letztes Stilmittel."

Mit Acid Food hat man sogar so etwas wie einen Popsong erschaffen, bei dem eine Steel Guitar mit einem verzerrten Drumloop Hand in Hand geht und vielleicht am ehesten an The Jesus And Mary Chain erinnert. Letztlich aber doch zu kantig für bunten Pop. Das Piano hat man ebenfalls für sich entdeckt und gleich in der ersten Singleauskopplung tritt es in den Vordergrund und bestimmt Friend Of The Night mit elegischer Pracht und winterlicher Düsternis.

Sie wollten laute Stücke aufnehmen erklärt die Band, was zunächst sehr banal klingt. Noise und Weight sind die Vokabeln mit denen der kleingewachsene Stuart Braitwaithe hantiert, um zu erläutern was ihm wichtig erscheint. Seine wachen Augen funkeln. "Wenn ich an eine Platte mit Gewicht denke kommt mir 'Songs Of Love And Hate' von Leonard Cohen gleichwohl wie das letzte Album von Sunn O))) in den Kopf.“ Das traurige Moment, die Melancholie als erfüllendes und aufmunterndes Merkmal überwiegt letzten Endes sogar die lauten Ausbrüche. "Es ist, als wenn man ein schönes Bild betrachtet – it makes your day a bit better."

Emergency Trap ist ein solches Stück, was mit wenigen Stilmitteln eben jenes Gewicht mit sich bringt. Von einem Piano und einigen Sounddrones getragen, bringt es eine zarte Gitarrenmelodie auf den Punkt. Anschwellende Rückkopplungen im Hintergrund wähnen den Zuhörer kurz vor einer Explosion die nicht stattfinden wird. Man wird sich der Stille erst bewusst, wenn der erwartete Lärm ausbleibt.

Phlegmatischen Pathos dichtet man ihnen fälschlich an was augenscheinlich wird, betrachtet man die fünf Herren hinter den Lärmleinwänden. Wie aus dem Marvel Universum entrissen ist zumindest der Name ihres kürzlich angemieteten neuen Studios in Glasgow; Castle Of Doom. Eine Reminiszenz an alte Tage, in denen sich die Bandmitglieder noch hinter nichts sagenden Pseudonymen versteckten. Cpt. Meat und DEMONIC etwa. Die Einrichtung ist spärlich, ein schmales Treppenhaus verbindet die Mischpulte mit Aufnahmeräumen. Man trinkt Tee und isst Bagels und Hummus. "Carfeful as you walk in! Mics behind the door!", warnt die schnell geschriebene Notiz an der Tür. "No drinks on piano, please", eine andere. Wir sind weit entfernt von einem anrüchigen Schloss der Verdammnis. Das alte Studio in welchem sich die Band seit ihrem Debüt an entwickelte, musste einem Wohnblock weichen. Das neue Studio ist angemietet auch wenn man über einen späteren Kauf nachdenkt. Belle & Sebastian haben sich bereits für Aufnahmen angemeldet.

Auch die kryptischen Songtitel sind alles andere als konspirative Codes die darauf warten dechiffriert zu werden. We’re No Here ist ebenso wenig wohlüberlegt und durchdacht wie es viele seiner Vorgänger waren. Martin Bullochs kleiner Bruder John verstand diese Worte missverständlich im Zusammenhang mit einem Sprechchor, welcher tatsächlich den Namen des Glasgow Celtics Trainers Martin O’Neill rief, erklärt Stuart Braitwaithe "Er verstand We’re no here, was tatsächlich absoluter Nonsens ist auszurufen. Wir dachten aber, es sei ein guter Song Titel." "Mr. Beast" bedient sowohl die prominenteste Spielweise der Band als auch die eher minimalistischen und ruhigen Stücken mit elektronischem Einfluss, wie sie seit "Rock Action" in das Repertoire von Mogwai Einzug hielten. Folk Death 95 ist ein gutes Beispiel für erste, Team Handed für letztere Art. Selbstverständlich gibt es mehr Facetten zu entdecken als diesen Stereotyp. Stagnation auf höchstem Niveau nennt es das Intro. "Fakt ist, dass niemand von uns etwas anderes kann. Es ist nicht so als hätten wir unser Architekturstudium kurz unterbrochen und könnten dort irgendwann weiter machen." Braitwaithe unterstreicht: "Wir wussten von Anfang an, dass wir dies für eine lange Zeit machen würden und dass wir lohnenswerte, wichtige Musik schreiben wollten, bis zu dem Tag, an dem unsere Hände nicht mehr mitmachen." Das lässt weiter hoffen.

Die fünfundzwanzig Sekunden sind verstrichen. Der Schwebezustand ist vorüber, Pupillen fokussieren die Bestie. Die Glasgow Mega Snake bricht wieder los. Unbändig wächst sie heran, gespeist von getretenen Overdrive Pedalen, labt sich an den enthusiastischen Blicken des Publikums und windet sich um die parallel laufenden Melodien die sie heraufbeschwören. Bis sie nach gut dreieinhalb Minuten so plötzlich verschwindet wie die unerwartete Illusion eines Zauberers.
foto: steve gullick



mogwai
"mr. beast"
pias 2006 cd / cd+dvd / lp
mogwai

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Pink Mountaintops [Axis Of Evol]

"Can a sexually frustrated Canned Heat seduce a hot and bothered Neu into a cheap one night stand? " Die wortspielreiche Frage auf der Homepage geht in eine falsche Richtung, denn von Anspielungen auf Sex hat sich die Black Mountain Army auf der aktuellen Veröffentlichung gelöst.


"jesus, do you believe?"
(how can we get free?)


"No, I’m not heading down the highway to hell", klagt eine Stimme. Langsam gesellt sich eine akustische Gitarre hinzu. Es wird nicht mehr geschehen. Nicht hier. Nicht in diesem Augenblick. In diesem Stück. Die Pink Mountaintops eröffnen ihr zweites Album mit einem spärlichen, unaufdringlichen Spiritual, einem weinerlichen und rührseligen Stück entschlossenen Zweifels. "I’ve been wrestling a dead angry deer / And she is still with me after all of these years." Dann folgt der Bruch; eine anschwellende Rückkopplung, ein knarzig verzerrter Bass im Stile der Eels zu ihrer "Souljacker" Zeit und ein lakonisch gesagtes "Go". Es bleibt jedoch bei den folgenden fünf Stücken beim Blues. Beim Come Down. Trocken und Einsilbig wie der Morgen danach. Über allem thront diese markante, in ihrer Eloquenz so rücksichtslos unspektakuläre Stimme, die vom Leben erzählt.

Stephen McBean, der langmähnige Bartträger aus Vancouver ist der Kopf hinter den Pink Mountaintops. Der im Plural angelegte Name täuscht jedoch darüber hinweg, dass es sich eigentlich um eine One Man Show handelt. Lediglich als Gastmusiker treten Mitglieder der anderen Band auf, von der letztes Jahr das englische Plan B prophezeite, dass 2005 keine wichtigere Kollektion von Stücken einer so starken Band hervorbringen würde; Black Mountain. Hier führt hingegen alles in eine andere Richtung. Lauter. Krachenderr. Wilder. Psychedelischer. Kanada, archetypisch für Künstlerkollektive die sich gegenseitig unterstützen und bereichern, erscheint freigebig genug, um in der Entfaltung nicht einzuschränken, was die gesamte Black Mountain Army goutiert. Dem großen Nachbarn im nordamerikanischen Süden ganz unähnlich. Auch bei diesem bildlichen Gebirgszug steht McBean als Kopf vor, als Songschreiber und Denker, doch die Pink Mountaintops ist er allein. Sein Vehikel, zum Maximum reduziert. Während sich das selbstbetitelte Debütalbum jedoch augenzwinkernd und euphemistisch mit dem Thema Sex auseinandersetzte und Titel wie I (fuck) Mountains oder Sweet 69 ganz ähnlich dem Bandnamen selbst obligatorisch erschienen, bewegt sich "Axis Of Evol" weitab dieser Betrachtungen. "Es geht nicht mehr um Sex, aber es führt das zelebrieren der menschlichen Existenz fort", erklärte McBean bereits letztes Jahr in einem Interview. Hinter all dem ernst und der Demut verbirgt sich also eine beliebige Heiterkeit. Lord, Let Us Shine bekräftigt dies wohl am ehesten, wenn mit verzerrter Stimme im Chor über einen steten Beat gesungen wird. "We’ve been singing with Jesus in the house of love / We’ve sending dead flowers to the devil’s son". Dann mündet es in einem munteren, mehrstimmigen Sing Along.

Unbeirrbar wird hier mit überhöhtem Selbstverständnis LoFi produziert, über Drumcomputer Rhythmen laufen verzerrte Gitarren, Rauschen im Hintergrund und rhythmisch betonte Störgeräusche. Home Recording. Es gibt keine großen Veränderungen in den Stücken, die Melodien und Rhythmen sind von simpler Natur jedoch keineswegs Einfältig. Sie bewegen sich irgendwo zwischen Casiotone For The Painfully Alone, Bonnie „Prince“ Billy und zurückgefahrenen Pavement Einflüssen.

Am Ende des Albums begibt sich McBean erneut für gewagte siebeneinhalb Minuten auf akustisches Terrain, erinnert dabei in hypnotisch meditativer Weise an Bill Callahan von (Smog) und macht klar, dass eine Reise wichtiger ist als das Ankommen. "Won’t you tell us, how we can get free", fragt er im letzten Stück und sing dabei über Liebe und Krieg, den Krieg der Liebe und die Liebe des Krieges. Oder so ähnlich. Dann ist nach gut 34 Minuten Schluss und man sucht die Repeat Taste, um noch einmal alles Revue passieren zu lassen.
foto: dale nixon



pink mountaintops
"arms down"
city slang / jagjaguwar 2006 cd / lp
black mountain army

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Sonntag Nachmittag [März 2006]










fotos: manuel kaufmann

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