Lo-Fi-Fnk [Helsinki, 30.09.2006]

Black Jack?
Erdige Rockmusik?
Lo-Fi-Fnk?
Wie soll das denn bitte funktionieren?


"boy, it's great to be back home, the city that's where we belong."
(leo drougge)

Elektro-Pop ist der letzte Schrei, er ist neben der britischen Retro Rock 'n' Roll Welle offensichtlich das Gebot der Stunde. Ein Act spriesst neben dem anderen aus dem Boden, wie der Samen, der lange im Boden lag, auf einmal die Bodenkrume durchbricht und sich vor aller Augen zu einer Pflanze entwickelt. Der Vergleich hinkt zugegebenermaßen, denn Scheinwerferlicht ist kein Qualitätssiegel und im Untergrund gedeiht viel Wunderbares, das niemals größere Aufmerksamkeit erregt. Das schwedische Duo Lo-Fi-Fnk könnte aber diesen Weg gehen, den akut eine längere Europa- und US-Tour von September bis November abzeichnet. Von dieser Tour blieb auch Helsinki nicht verschont. Seltener als andere europäischen Metropolen kommt die finnische Hauptstadt in den Genuss internationaler Bands und Kuenstler, so zeichnet sie sich aus subkultureller Perspektive zwar durch einen hohen Hipness-Faktor aus, doch geographisch gesehen befindet sich die Stadt eindeutig in einer Randlage.

Rahmen der Veranstaltung war der Kuningasklubi, eine monatliche Einrichtung in Helsinkis dienstältestem Rockschuppen Tavastia. Zumeist kleinere Acts aus Europa oder Übersee spielen gemeinsam mit einer lokalen Band, das Konzept erscheint auf den ersten Blick nicht gerade neu. Aber es ist wirksam, um auch unbekannte Bands finanzieren zu können, deren Reisekosten für einen einzigen Auftritt in Finnland nicht gerade gering sind. Und so kommen an diesem Abend über 400 Menschen, nicht zuletzt auch wegen dem finnischen Support Risto. Deren Brei aus erdiger Rockmusik in ihrer unangenehmsten Form und leicht jazzig angehauchtem Muckertum wirkt eintönig und uninspiriert. Die meisten Anwesenden sind vom Auftritt allerdings sichtlich begeistert. Der Hinweis, dass die (finnischen) Texte sehr wichtig für das Verständnis der Band sind, ist ein guter Anlass um sich doch lieber an der Bar im Vorraum zu flüchten, wohin das Geschehen auf der Bühne unnötigerweise mit Hilfe von Flachbildschirmen übertragen wird. Noch absurder erscheint allerdings der Black-Jack-Tisch, hinter dem tatsächlich ein Croupier im Smoking sitzt. Doch in einem Land, wo selbst in Supermärkten Glücksspielautomaten stehen, passen sich eben auch mittelgroße Clubs und Discos den realen Verhältnissen an.

An Kuriositäten mangelt es dem Abend wirklich nicht: Risto begeistern die Zuhörer so sehr, dass sie geschlagene 90 Minuten auf der Bühne stehen und spielen, als könnten sie damit eine imaginäre Sperrstunde noch ein wenig hinauszögern. Irgendwann beenden sie ihren Auftritt dann doch und das Publikum in den ersten fünf Reihen wird innerhalb kürzester Zeit komplett ausgewechselt. So verschieden die auftretenden Bands, so unterschiedlich ist auch das Erscheinungsbild der Zuhörer. Doch niemand stört sich an der musikalischen Mischung, sie wirkt geradezu selbstverständlich und scheint für die meisten zu funktionieren. Ein paar Anwesende können den Auftritt von Lo-Fi-Fnk kaum erwarten, bereits in der Umbaupause beginnen sie zu tanzen, während der DJ den Lautstärkeregler ziemlich weit nach oben schiebt. Als dann die Schweden dann die Bühne treten, bricht sofort ein kleiner Jubelsturm aus, vom vielbeschworenen kühlen skandinavischen Gemüt keine Spur.

Die beiden Jungspunde sind kaum über 20 Jahre alt, zu manchen Clubs in Helsinki hätten sie aufgrund der restriktiven Alterbegrenzung wohl noch nicht einmal Zutritt. Doch auf der Bühne sind sie genau richtig. Völlig unverkrampft und mit einer riesigen Portion guter Laune bedienen sie elektronische Drums, Synthesizer und Laptops, unterstützt von einer kaum älteren Bassistin.

"You got me feeling high, you got me from the low!"

Ein bis auf Gesang und einzelne Bassläufe vollständig digitales Liveset wird initiiert, Lo-Fi-Fnk sind quasi die Antipode zu Risto. Nicht Rock'n'Roll sondern der Funk bestimmt den Groove, dem altbackenen und zuweilen traditionalistisch anmutenden Rock wird eine gehörige Portion urbaner Freshness entgegengesetzt. Die musikalischen Wurzeln heißen Pet Shop Boys und Soft Cell, doch angekommen sind sie im 21. Jahrhundert. Als ersten Song feuern Lo-Fi-Fnk mit City direkt ihre bekannteste Songgranate ab, anstatt wie andere Bands damit bis zum Schluss zu warten. Dieses Auftreten hat Stil. Ausgelassen feiern sie mit dem Publikum eine große Party, wirken dabei aber weder routiniert noch abgehoben. Die Musik geht direkt in die Beine, die Stimmung wird immer ausgelassener, auf und vor der Bühne wird ordentlich getanzt. Elektronische Soundästhetik wird mit klassischem Songwriting gekreuzt, ein Hybrid mit extremem Genussfaktor. Ob Adore, Boylife oder End, der Spaßfaktor wird mit jedem Song konstant hochgehalten. Vor allem ist es aber auch der ungezwungene Auftritt der Schweden, welcher die Grenze zwischen Band und Publikum zumindest in den Köpfen verwischen lässt. Nach einer knappen Stunde ist die Show zu Ende, Lo-Fi-Fnk verlassen die Bühne, um nur kurze Zeit später auf der Tanzfläche weiterzufeiern. Vielleicht ist es auch gerade diese Tatsache, die ihrer Live-Performance so einen wunderbaren Charakter verleiht: Ihre Auftritte finden aus reinem Lustempfinden statt und dem Willen, Spaß auf einer guten Party zu haben. Umso besser, wenn sie dafür auch noch der Katalysator sind.
foto: lo-fi-fnk

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risto
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Records&Me

Im Sommer 2004 hatte die dänische Band Cartridge eine Autopanne, die sie auf der Reise in den Süden bereits in Hamburg aufhalten sollte. Solche Ereignisse sind oft wenig rühmlich, noch weniger erfreulich und schon gar nicht erinnerungswürdig. Schließlich geschieht dies doch jedem irgendwann einmal.


"champagne to all our elder female guests."
(like a stuntman, hairy diamond breats)


Mit dieser besonderen Autopanne in jenem Sommer hängt jedoch unweigerlich die Gründung des jungen Hamburger Labels Records&Me zusammen. Hannes Langner – Label Chef, wenn man so will – traf so auf besagte Band, verliebte sich in deren Musik und entschloss sich damals gemeinsam mit einem Freund dazu, den Kampf gegen die Windmühlen der Musikindustrie aufnehmen zu wollen.

Heute, gut zwei Jahre später, kann das Label bereits auf einige bemerkenswerte Platten zurückblicken. Aktuell sind da zum Beispiel das Debüt Album besagter Band Cartridge – "Enfant Terrible" -, dass durch Abwechslung, ausgereiftes Songwriting und vor allem dem charismatischen Gesang von Mathias Wullum Nielsen überzeugen kann. Die Marburger Band Tent hingegen, von der Presse mit Vorschusslorbeeren für ihre Debüt EP "Do Something" bedacht, verliert sich leider eher im allgegenwärtigen Schrei nach schlichtem Uptempo Indierock. Der Schritt zu Figurines, Maximo Park, The Killers etc. ist nicht weit, was dem Label zwar einige verdiente Aufmerksamkeit bescheren dürfte, jedoch ist die Veröffentlichung an sich eher belanglos; Der Griff zu den „Originalen“ – wenn man so will – liegt näher. Dennoch muss man gestehen, dass ein so dichtes Debüt selten sein dürfte.

Was das Frankfurter Quartett Like A Stuntman wiederum anbelangt, so darf man deren aktuelle EP "Stan Places" getrost jedem ans Herz legen! Die Sozialisation in den von Pavement dominierten Neunzigern des letzten Jahrtausends hört man hier und da durch, aber trotzdem bleibt die Band eigenständig genug, um sich klar abzusetzen. Wunderbar vereint man in den Songs den lakonischen Gesang von Sven Fritz mit akustischer und elektronischer Spielweise, schwebt anmutig zwischen LoFi Pop und sich dekonstruierenden Soundspielereien die an Tunng oder die Books erinnern, denen aber dennoch ein klar strukturiertes Songwriting obliegt. Dabei bleiben sie intelligent genug über jede Referenzhölle erhaben zu sein und sich so wenig um gängige Klischees zu bemühen, wie man es sich nur wünschen kann. Und obwohl sich Like A Stuntman kaum über die 3 Minuten Grenze hinwegbewegen, verzichten sie nicht auf einen langsamen, verschachtelten und detailverliebten Aufbau eines jeden ihrer Stücke. Awesome!

Was dennoch bei allen drei angesprochenen Bands deutlich wird, ist, dass in jedem Fall mit Liebe zur Musik gearbeitet wird. Hingabe. Intimität. All das. Records & Me eben. So klingt der Labelname selbst nach eben jener sehr persönlichen Beziehung zwischen dem Musiknerd und seiner Plattensammlung. Der gleiche Eindruck wird auch vermittelt, wenn man sich auf die Homepage des Labels begibt und dort von dezenten, aber aussagekräftigen Fotos empfangen wird.

Woher stammt der Name, bzw. was bedeutet er für dich, Hannes?
"Im Grunde hast du die Antwort ja schon gegeben. Es geht nicht nur um die Musik, sondern auch um den Tonträger als solchen. Zwar mag das in diesen Zeiten etwas merkwürdig, vielleicht sogar naiv wirken, aber für mich spielen Tonträger nach wie vor eine große Rolle. Natürlich geht es immer in erster Linie um die Musik, ganz klar. Der Tonträger hat aber seit der Einführung der CD, insbesondere aber natürlich in den letzten Jahren, deutlich an Bedeutung verloren. Ein schönes Artwork sagt eine Menge über eine Band aus und kann daher auch dazu beitragen die Musik vielleicht besser zu verstehen. Leider legen da in den letzten Jahren viel weniger Künstler wert drauf, deshalb verliert die CD weiter an Bedeutung. Dazu trägt natürlich auch das Format CD bei. Da ist ganz einfach weniger Platz als beispielsweise noch auf einem Schallplatten-Cover. Dennoch hat man auch bei der CD die Möglichkeit den Tonträger liebevoller zu gestalten als die meisten Künstler es tun. Das soll gar keine Kritik sein, wenn ein Künstler oder eine Band da keinen Wert drauf legt, dann ist das eben so. Ich finde es aber schade. Meine CD Veröffentlichungen sind bisher allesamt recht aufwendig gestaltete Digipacs. Und Meine Bands finden das großartig, geben sich mit dem Artwork immer viel Mühe und nutzen auch dieses Medium um ihren Stil zu präsentieren."

Als ich mich letztens mit Ilias von SeaYou Records unterhielt, erklärte mir dieser, dass er eigentlich gar kein Label betreiben wollte. Betrachtet man deine Geschichte, sieht das ja auch alles andere als nach von langer Hand geplant aus. Wie kommt es, dass dann am Ende doch ein Label dabei heraus kommt?
"Auch bei mir war das Zufall. Zu dem Zeitpunk, als ich Cartridge kennenlernte war ich zwar bereits Praktikant bei einer großen Plattenfirma, aber auch das nur, weil mir dieser Platz von einem Freund vermittelt wurde und ich nicht wusste was ich sonst machen sollte. Als ich Cartridge dann traf wusste ich sofort, dass ich diese junge Band unterstützen wollte. Da lag es einfach auf der Hand mit einem Freund die Ersparnisse zusammenzukratzen und eine Platte zu veröffentlichen. Allerdings sollte es ursprünglich bei dieser Platte, oder zumindest dieser Band bleiben. Irgendwie lief es dann immer weiter, das Feedback war von allen Seiten so positiv, dass wir ziemlich schnell vor der Frage standen, ob wir das Label nicht ein wenig „ernsthafter“ betreiben wollten. Lennart, mit dem ich bei den ersten beiden Veröffentlichungen zusammen gearbeitet hatte, wollte sich vernünftigerweise lieber seinem Studium widmen und so habe ich dann, vielleicht auch mangels Alternativen, gesagt: gut, dann versuch ich das jetzt einfach mal allein. Mit PIAS als Vertrieb hatte ich dann natürlich auch die Möglichkeiten dazu. Heute ist Records&Me ein Vollzeit-Job, auch wenn ich noch nicht davon leben kann."

Dein initiales Zusammentreffen mit Cartridge ist eine dieser Geschichten, die einem Label einen äußerst angenehmen Charme verleihen können. Wie kamen die Kollaborationen mit Tent und Like A Stuntman zustande?
"Christian von Like A Stuntman arbeitet zusammen mit einigen meiner Freunde bei Station 17, einer Band mit behinderten Menschen. So hab ich sie kennengelernt. Als ich Like A Stuntman dann das erste Mal live sah war sofort klar, dass ich diese Band bei Records&Me haben wollte. Zum Einen passte es menschlich sofort, zum Anderen haut einen diese Band live einfach um! Bei Station 17 arbeiten übrigens auch zwei Bandmitglieder von The Sea, die im Frühjahr ihre erste Single bei mir veröffentlichen werden. Tent hat mir ein Freund empfohlen. Auch da bin ich auf’s Konzert gegangen, hab mir die Band angehört; Es wurde Bier getrunken, am nächsten Tag Kaffee... Auch da war schnell klar, dass wir sehr ähnliche Vorstellungen haben und vor allem, dass wir uns verstehen. So spektakuläre Geschichten wie bei Cartridge kann ich da leider nicht bieten."

Das Wort "Indie" erscheint heute ja mehr und mehr zu einem leeren Begriff zu werden. Dennoch hat es im Grunde sehr viel mit Idealismus und DIY Attitüde zu tun. Werte, die man im "Musikgeschäft" allemal mit stolz hochhalten darf. Wie gehst du heute mit dem Begriff Indie um und was bedeutet er für dich und dein Label?
"Natürlich ist 'Indie' mittlerweile in erster Linie eine Schublade. Für mich bedeutet es aber, im Bezug auf Records&Me, dass wir machen können worauf wir Lust haben. Es gibt jede Menge Regeln die man bei einer Veröffentlichung beachten sollte. Der Begriff „Indie“ erlaubt mir aber auch mich über vieles hinwegzusetzen und eben unabhängig von diesen Regeln mein Ding durchzuziehen. Ich bin alles andere als Experte in der Musikbranche und habe auch kaum Erfahrungen. Bei Recrods&Me wird einfach gemacht was alle für sinnvoll halten. Bisher klappt das ganz gut."

Wie ist das Verhältnis von Label und individueller Band? Und wie ist vielleicht auch das Verhältnis von dir persönlich zu den Bands, falls das nicht zu indiskret ist?
"Da wir ja erst seit kurzem wieder zu zweit bei Records&Me sind, ist mein persönliches Verhältnis eigentlich gleichzusetzen mit dem von Records&Me zu den Bands. Ganz einfach auch, weil mir ein persönlich gutes Verhältnis zu den Bands wichtig ist. Mit Cartridge verbindet ich in erster Linie Freundschaft und erst dann eine Art „Geschäftsbeziehung“. Wobei Geschäftsbeziehung hier ohnehin kein gutes Wort ist. Ich würde eher Partnerschaft sagen, da keiner Entscheidungen ohne Einwilligung des anderen trifft. Genau so ist es auch bei Like A Stuntman und Tent. In erster Linie sind wir Freunde. Das ist mir auch sehr wichtig, denn sonst würde mir dieser Job keinen Spaß machen. Zwar bringt das natürlich gelegentlich auch Probleme mit sich, letztendlich haben wir aber alle die gleichen Vorstellungen von dem was wir gemeinsam erreichen wollen und können. Konflikte über beispielsweise Vorgehensweisen lassen sich da schnell klären. Vertrauen und gegenseitiger Respekt sind dafür aber sehr wichtig."
foto: lisa notzke



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Reeperbahnfestival [Hamburg, 21.-23.09.2006]

Das erste Reeperbahnfestival zu Hamburg.
Eindrücke des vom texanischen South By Southwest inspirierten Festivals, von Donnerstag Abend bis Freitag Nacht in Bildern festgehalten.



"das wird kein deutsches sxsw!"
(kritischer besucher)



"3 Tage, 20 Bühnen, 200 Acts", heißt es locker vom Veranstalter. Und der Hinweis, dass es lohnt sich durch die Clubs treiben zu lassen. Fazit nach 1 1/2 Tagen: nette Idee, aber viel zuviel für zu kurze Zeit. Der Abend hat sein Ende nach 0h erreicht und auch mobil mit Fahrrad ist keine Zeit für entspannte Konzerte. Zumindest nicht, wenn man mehr als eines erleben will und dazu den Veranstaltungsort wechseln muss. Zu eng gestrickte und nicht eingehaltene Zeitpläne und zu viele Überschneidungen der bekannten und gern gesehenen Bands am späteren Abend kommen noch hinzu.

Was bleibt ist eine gute Idee mit verbesserungswürdiger Umsetzung und dennoch angenehmer Atmosphäre.
text und fotos: Uta Bohls

reeperbahnfestival

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The Album Leaf [Into The Blue Again]

„Into the Blue Again“, das neue Werk von The Album Leaf, ist keineswegs eine einfache Platte. Es ist schon schwierig, die passende Gelegenheit, den Moment zu finden, zu dem diese Musik ganz eindeutig passt – so wie Jack Johnson nur bei Sonne und Fröhlichkeit gehört werden kann und Coldplay fast gezwungenermaßen melancholisch macht. Für „Into the Blue Again“ muss man sich auf Reisen begeben. Und dann aufdrehen.



"in the air i flew / through the clouds i fall."
(always for you)


Hinter dem kryptischen, einem Chopin Stück entnommenen Bandnamen The Album Leaf, verbirgt sich der Multiinstrumentalist Jimmy LaValle. Er veröffentlichte seit 1999 unter dieser Kennung bereits drei Alben, von denen die beiden ersten allerdings bei weitem zu wenig Aufmerksamkeit bekamen. Immerhin hörten aber Sigur Rós von dem bärtigen Kalifornier und luden ihn ein, Support ihrer US-Tour zu sein. Anschließend holten sie den Künstler nach Island, um dort mit ihm sein drittes Album "In A Safe Place" aufzunehmen, das sowohl von Kritikern als auch Fans gefeiert wurde. Letztere vermehrten sich stark, als die Platte dann noch in nicht weniger als sechs Folgen der amerikanischen Erfolgsserie O.C. California zu Gehör kam. Das brachte allerdings auch Probleme mit sich: "Viele langjährige Fans sprachen von Ausverkauf oder so. Dabei ging es mir nie darum, viel Geld zu verdienen, sondern die Musik machen zu können, die ich mag", sagt LaValle.

Ohne viel Zeit verstreichen zu lassen, kehrte er dann ins Sigur Rós-eigene Studio, einem ehemaligen Swimmingpool, zurück – into the blue again quasi - um dort ein neues, wunderbares Werk zu schaffen. Und beide Fanlager, sowohl die Fernsehzuschauer als auch das alteingesessene Elektro-Publikum, dürften damit mehr als nur zufrieden sein: Konsequent wird hier fortgesetzt, was auf "In A Safe Place" begann, ohne dabei auf Massenkompatibilität abzuzielen.

Man muss sich schon Zeit nehmen für diese Musik, allein, um eine passende Umgebung für sie zu finden. LaValle, der fast alle Instrumente selbst einspielte, scheint sich Klangfelder zu schaffen auf Basis von langen Synthieakkorden und schlichten Beats, die eigentlich nicht besonders weit gefasst sind. Auf diesen Feldern tobt er sicht aus, vornehmlich mit elektronischen Tasten, gern aber auch durch Streicher und sanfte Gitarren, und scheint so doch wieder unendliche Weiten zu eröffnen. Dazu kommt immer wieder dieser dumpfe, schwummrige Unterwassereffekt – vielleicht hat das Swimmingpoolstudio tatsächlich seinen Teil beigetragen.

"Into The Blue Again" ist aber keineswegs verschwimmende Musik, sondern eine klar definierte. Sie ist treibend, immer in Bewegung, in eine bestimmte Richtung und mit einem klaren Ziel, das sie aber doch nie zu erreichen scheint. Dabei kommt sie nie aus der Ruhe und hat oftmals einen wehmütigen Hauch, als steckte sie voller Erinnerungen. Das Stück Red-Eye beispielsweise scheint eine Frage zu stellen, ohne Antworten zu erhalten, und am Ende, nach sechs Minuten, doch irgendwie weitergekommen zu sein. So sind alle zehn Tracks der Platte. Niemals gleich! Aber alle tragen LaValles eindeutige Handschrift. Grazile Elektronik ist das, zu der man sich trotzdem auch eine schwebende Ballerina vorstellen kann.

Beim Hören sollte man sich bewegen wie die Musik selbst, man sollte bewegt werden, in einem Zug oder Auto oder Flugzeug. Denn schon vor dem geistigen Auge ziehen Landschaften und Lichter vorbei, wenn der Opener The Light erklingt, er ist wie eine Reise in der Dunkelheit, sei es ganz früh morgens oder spät in der Nacht. Im Verlauf der Platte scheint manchmal geradezu die Sonne aufzugehen, irgendwo weit weg am Horizont. Jimmy LaValle muss mit sich im Reinen gewesen sein, als er das schuf, und gleichzeitig gewusst haben, dass alles weitergeht, gut weitergeht, ohne jedoch zu wissen, wo er am Schluss landet. Eine Reise nun mal, ins Glück vielleicht und auf alle Fälle durch viele kleine Glücksmomente. Er muss sehr zufrieden gewesen sein.

Das können alles völlig falsche Gedanken sein. Vielleicht war es ganz anders. Aber das ist eine der vielen Qualitäten von "Into The Blue Again": Es stupst die Fantasie an und entführt in Kopfwelten, nimmt mit auf eine Reise und lässt ausführlich träumen. Selbst bei den wenigen Tracks, in denen LaValle die (eigene!) Stimme erhebt, lassen die Texte noch mächtig Interpretationsspielraum.

Also, den Kopf freimachen und Platz schaffen für zehn große Lieder. Und dann auf Reisen gehen, vielleicht nach Island, wo es diesen alten Swimmingpool gibt.
foto: bill zelman



the album leaf
"into the blue again"
city slang 2006 cd
the album leaf

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Sonntag Nachmittag [September 2006]







fotos: manuel kaufmann

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