Julius [Leise, Zusammen]

"Meine Lieder sind lustige Geschichten zu traurigen Akkorden; manchmal finde ich es schade, dass ich mit meiner Musik nicht gut auf Feiern spielen kann, aber öfter gewinnt dann doch die Freude Oberhand, dass ich ruhige Momente selten zerstöre."
Julius über Julius.


"what the mind can believe, it surely can achieve."
(writing a name)


Die von Harvey Keitel verkörperte Figur des Tabakladenbesitzers Auggie Wren in dem Film "Smoke" offenbart im Laufe der Handlung sein außergewöhnliches Hobby; Seit Jahren fotografiert er ein und die selbe Straßenkreuzung. Jeden Tag zur gleichen Tageszeit ein Bild. "Die sind alle gleich, aber jedes ist anders als alle anderen", bringt er später hervor. Dieses skurril doppelbödige des Alltags, diese Liebe zur Authentizität des Augenblicks, die in dem Film von Wayne Wang und Paul Auster an den Tag tritt, scheint mir auch in den musikalischen Stücken von Julius zu leben.

Kaum einem jungen Singer/Songwriter gelingt es so präzise und wortgewandt Bedeutung im vermeintlich Unbedeutetem zu finden. Den Moment der Belanglosigkeit, der völligen Beliebigkeit des Alltags entrissen als Konkretes zu erfassen und zur Metapher hervorzuheben, ist ein Wagnis, welches Julius Mal ums Mal auf eindringliche Weise gelingt. Wenn er etwa zwischenmenschliche Beziehungen mit der profanen Funktionalität einer Mikrowelle vergleicht (I Don’t Even Know Your Name), die Erfahrungen mit seiner zuständigen Sachbearbeiterin der Agentur für Arbeit reflektiert (Writing A Name), oder seine Gedanken manches Mal gar zu einem Slogan verdichtet: "Mach aus deinem Namen ein Kreuz" (Wie Du). Julius weiß mit Metaphern zu jonglieren ohne zwanghaft hermeneutisch Sinn vermitteln zu müssen. Dabei bleibt er stets sensibel genug, um keines der Details der Lächerlichkeit Preis zu geben. Seine wortgewandten Miniaturen - denn als solche erscheinen sie mir in ihrem selten über Drei-minütigem-Gewand - streben dabei geradezu gegen die derzeitige Dürftigkeit der Pop-Sprache, gegen die ermüdende Reproduktion des stetig Selben, ohne dabei zu kopflastig oder gar gekünstelt zu wirken. Bis auf die bloße Betrachtung entkleidet Julius den Moment, lässt jeden falschen Pathos außen vor, ohne dabei auf große Worte verzichten zu müssen. Wo andere Erlebtes unhaltbar hochstilisieren, weiß er mit überraschender Wendung des Blickwinkels zu dekonstruieren. Hier verdreht kein biergeschwängerter Euphemismus die befindlichkeitsfixierte Perspektive, denn wir alle wissen, "es ist nicht die Sonne die untergeht, sondern die Welt" (Wie Du).

Musikalisch scheint der Wahl-Bremer irgendwo von Ani DiFranco, Seven Mary Three und Tom Liwa inspiriert, ohne dass diese als klare Koordinaten auszumachen wären. Das Minimum an Instrumenten seiner einnehmenden Live Auftritte - Akustikgitarre und Mundharmonika - ist auf dem Album um kurzweilige Percussion Untermalungen und Glockenspiel erweitert und an der ein oder anderen Stelle unterstreicht Lisa Rank (Me vs. Me) den Gesang. Die sanfte Räumlichkeit des Albums ist nicht zuletzt Mirco Dalos zu verdanken, der als Produzent mit viel Liebe zum Detail für all jene Kleinigkeiten sorgte, die mir als Hörer zwar unmittelbar im Unterbewußten, jedoch erst beim dritten oder vierten Durchlauf tatsächlich bewusst wurden. Das Album bleibt seinem Titel in jeder Hinsicht treu; "Leise, Zusammen" versucht niemals mehr zu sein als es ist. Aber auch nicht weniger. Dass sich der Schotte Denis Blackham, der schon für das Mastering alter Helden wie Crosby, Stills, Nash & Young, Pete Townshend und Jimi Hendrix (oder auch Antony and the Johnsons) verantwortlich war, auch für "Leise, Zusammen" bemühte, erscheint angesichts der vertrauten Unaufdringlichkeit des Albums mehr als ein Epiphänomen, denn Namedropping; Und die Tatsache, dass dieser mit seiner Frau am Frühstückstisch die Melodie von Wie Du summte, nur als bereichernde Anekdote zu einem in der Zurückhaltung überzeugenden Kleinod.

Anmerkung:
Julius war der erste Künstler auf welchen wir uns uneingeschränkt einigen konnten, als wir uns mit der Kompilation "Sketchbooks" auseinandergesetzt haben. Es ist also wenig Heuchelei im Spiel, wenn ich ihn hier für all das lobe, was ich an ihm schätze. Dennoch halte ich es für unpassend, eine Rezension über sein Debüt zu schreiben, wenn wir uns hier als Magazin Unabhängigkeit auf die Fahne schreiben und dann gleichzeit die eigenen Produkte aus dem Hause urbanprovince anpreisen. Andererseits wäre es jedoch verfehlt, wenn Julius Album hier keine Erwähnung fände. Daher haben wir uns dazu entschlossen hier unseren original Pressetext für "Leise, Zusammen" zu veröffentlichen, um nicht ganz in die subjektive Beweihräucherung abzuschweifen. Das bitte ich beim lesen der obigen Besprechung zu berücksichtigen. Wie ihr das aufnehmt, könnt ihr für euch selbst entscheiden. Ihr könnt euch natürlich auch den Spass machen und vergleichen, welche Textstellen aus dem obigen Text in regulären Besprechungen an anderen Orten kennzeichnungsfrei zitiert werden. Wie auch immer, wir wünschen viel Vergnügen!
foto: julius kowarz



julius
"leise, zusammen"
urbanprovince records / datafile music 2007 cd
julius