Haldern Pop [Rees-Haldern, 07.-09.08.2008]

Im Anblick des feuchtkalten Novemberwetters erscheint der Gedanke an die strahlende Sommersonne fast wie eine Kindheitserinnerung, von der man nicht mehr genau weiß, ob man sie wirklich gesehen, oder sich nur eingebildet hat. Dennoch wagen wir einen Rückblick.

"die ohnmacht der möglichkeiten"
(festival motto 2007)

Haldern ist ein kleines Dörfchen am Niederrhein, und wenn man möchte, kann man hier - zumindest eine zeitlang - alle äußeren Umstände und Geschehnisse ausblenden, hinter sich lassen und einfach mal das Heute genießen, ohne Sorgen und Hintergedanken. Besonders gilt dies für ein bestimmtes Wochenende im Jahr, und ganz speziell zum 25. Jubiläum des Haldern Pop Festivals vom 7. - 9. August 2008. Die Welt umher drehte sich normal weiter und bescherte Bevölkerungen schrille bunte Bilder von einer gefakten Olympiaeröffnungsfeier und von Flüchtlingen in Georgien. Nur etwa 5500 junge und in diesen Tagen sorglose Menschen klammerten jeglichen Weltschmerz aus und konzentrierten sich auf etwas, was zumindest einmal im Jahr wichtiger sein sollte als alles andere: Popmusik.

Und die war dieses Jahr ganz besonders erlesen und hörenswert. Erstmals lockte man die Besucher schon am Donnerstag- Abend vor die Hauptbühne um die Legenden der Flaming Lips das Jubiläum einläuten zu lassen. Und trotz eines etwas angeschlagenen Sängers mit wenig Stimme konnten die alten Herren durch ihre kunterbunte Konfetti-Show und den überdimensionalen grünen Plastikbällen alle Gemüter auf dem alten Reitplatz auf ein fröhliches und großartiges Festivalwochenende einstimmen. Wer vor dem Auftritt der Flaming Lips schon die Acts im Spiegelzelt erleben wollte, musste viel Geduld und warme Pullis mitnehmen, und sich in die lange Schlange vor Zelttüren und Securitypersonal einreihen. (Im Vorfeld wie auch nach dem Festival war die Zelt-Problematik im Haldern Pop-Forum ausführlicher als sonst besprochen und scharf kritisiert worden.) Tatsächlich hat jedes Jahr nur ein Bruchteil von zahlenden Besuchern auch wirklich die Chance sich die im Spiegelzelt auftretenden Bands anschauen zu können, es sei denn man entschließt sich dazu auf jeglichen Auftritt auf der Hauptbühne zu verzichten. Ein Zwiespalt, den die Besucher verständlicherweise als ungerecht verurteilen. Dem mangelnden Platz im Zelt zum Trotz bleibt dieses jedoch weiterhin Garant für atmosphärisches Höchstgefühl und sehr spezielle, intime Konzerterlebnisse, die wohl jeder, der ihnen schon mal beiwohnen durfte nicht mehr missen möchte. Dieses Jahr war das Angebot im Spiegelzelt zahlreich und vielfältig, die erst kurz vor dem Festival bestätigten Noah and the Whale fielen jedoch leider aus, nach dem etwas blassen Norman Palm gab es dann den ersten von vielen heißerwarteten Auftritt des Donnerstags im Zelt. The Fleet Foxes kamen und sangen, und das über Strecken vierstimmig, eine popmusikalische Meisterleistung, die man wohl fast als einmalig bezeichnen kann. Ebenso schön und zurückhaltend wie die bärtigen Herren aus Seattle waren Yeasayer, die ganz natürlich und angenehm fern von Stereotypen Indie-Jungspunden auftraten, ein psychodelisch- gemütliches Set spielten und die Zuhörer in die richtige Stimmung für die Hautbühne versetzte. Denn vor den Flaming Lips kamen da ja noch die Foals, eine in den letzten Monaten kräftig durch die Hype-Maschine gedrehte Band bestehend aus Oxford-Stundenten. Allesamt jung, heißblütig und unerbittlich auf Erfolgskurs. Ihrem Namen machte die Band in einem kurzweiligen und sehr launigen Konzert dann auch alle Ehre, da wurde wild umhergesprungen, getanzt und getrommelt, und nebenbei auch noch hervorragend musiziert - einmal mehr machen Gitarren, Schlagzeug und Bass gepaart mit minimalistischem Elektro einfach Spaß. Bleibt zu hoffen, dass den Foals ihre offen zur Schau getragene Arroganz nicht allzu weit über den Kopf wächst, und sie wenigstens mit einem Fuss auf dem Teppich bleiben. Nach den Flaming Lips wurde es ruhig auf Reit-und Campingplatz, dem Verbot Stromgeneratoren selber mitzubringen sei Dank.

Als Höhepunkte auf der Hauptbühne sind für den Freitag ohne jegliche Zweifel die Editors zu nennen, nebst dem am Nachmittag aufspielenden Jack Penate. Auch auf der Haldern-Bühne stellten die Editors ihre enormen Livequalitäten unter Beweis, wieder war ein Auftritt von ihnen besser als jegliche noch so fein ausgesteuerte Album-Version. Düster und vorwärtstreibend die Songs, stimmgewaltig und charismatisch ihr Sänger und Charakterkopf Tom Smith, der weder wildes Gezappel noch gewitzte Plapperei zwischen den Songs nötig hatte um sein Publikum in Spannung zu versetzten.

Dem 22-jährige Jack Penate aus London merkte man am sonnigen Freitagnachmittag seine spanische Herkunft an, bei miserabelsten Soundbedingungen auf der Hauptbühne rockte er seinen Stiefel locker und überheblich runter, seine Musik ist poppig, witzig und eingängig - ein wunderbar sommerlicher Auftritt vor der in allen Belangen peinlichen Joan As A Police Women. Furchtbar artifiziell gebarte sich die ehemalige Profiviolinistin Joan Water mit Glitzerkleid und Minispli-Perücke, dafür aber ohne Stimme und jegliche Ausstrahlung versuchte sie das Publikum mit teilweise haarsträubend absurden Phrasen heiter zu faseln - zum Glück blieb sie mit ihrem Auftritt der einzige Fehltritt des Festivals.

Vor den Editors hatte schon die heißerwartete Kate Nash gespielt und vielerorts enttäuschte Gesichter hinterlassen - wirkte sie doch auf der großen weiten Bühne etwas klein und blass, und so schön und anrührend ihre Songs und ihre Persönlichkeit sind, augenscheinlich ist sie nicht der Typ für größtes Entertainment und passt - so wie letztes Jahr glasklar bewiesen - eben besser auf eine beschaulichere Spiegelzelt-Bühne.

Ein unfassbar stimmiges und denkwürdiges Konzert lieferte die Schwedin Lykke Li bei geschätzten 30 Grad im Spiegelzelt ab, herrlich natürlich und soulig singt die erst 21-Jährige, und tanzt und benimmt sich so selbstverständlich auf der Bühne, als sei sie schon zehn Jahre im Geschäft. An Lykke Li ischeint alles echt, die persönlichen, unheimlich groovenden Songs, ihr Stil sich zu bewegen, ihr Gesang. Genau das Richtige für Freitags Nacht im Spiegelzelt.

Auch am Samstag gaben sich musikalische Höhepunkte die Klinke in die Hand. Nach den noch etwas unsicheren, aber vielversprechenden Dodos, die das Schlagzeug zu einem eigenständigen und vollwertigem Instrument erheben und nebenbei auch noch eine Posaune im Gepäck haben, erklimmte am Nachmittag Jamie Lidell mitsamt einer erstklassigen Kombo die Bühne und kombinierte gewitzt und äußerst sexy Soul, Jazz und derben Elektro. Den Abschluss auf der Hauptbühne bestritten erst The National, die mit einem verstört wirkenden Sänger finsteren, ernsten, vor allem aber gut gemachten Rock mit New Wave-Einflüssen boten und dann, zu guter Letzt Kassenschlager Maximo Park, die ganz wie erwartet ein quirliges, gut gelauntes und aufgeheiztes Set ablieferten, dass aber, trotz bestens aufgelegtem Sänger Paul Smith nicht den Auftritt der Editors vom Abend vorher toppen konnte. Abgerundet wurde der letzte Abend dieses denkwürdigen Jubiläums im schönsten Sinne des Wortes von den sehr intimen, fast anrührenden Auftritten von Songwriter Scott Matthew und Multiinstrumentalist Olafur Arnalds. Und das Wetter? Das war zum ersten Mal seid Jahren in diesem Sommer nicht interessant, dank der Organisationsleistung der Haldern-Helferlein und natürlich den vielen kleinen und großen Musikern dieses feinen bunten Festes am Niederrhein.
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