Chase The Dragon [Replacing Space]

Während Siegfried die Tarnkappe der Zwerge poliert, um sich an die Schätze der Drachen dieser Welt heranzuschleichen und den mythologischen Echsen das Schwert der Vergessenheit in die Kehlen zu rammen, machen sich zwei Magdeburger als Drachenkämpfer gleich daran, zu zeigen, dass österreichische Berghütten doch ihren Sinn haben können.

we should find out, but it is so much better to break up
from the heights that we don’t know.

(the lasting)

Jage den Drachen! So hätte auch damals ein weiser Rat von Mr. Miyagi an sein Karate Kid lauten können. Die Suche nach dem Drachen im eigenen Ich, der sich immer wieder einschleicht und ganz in der Element of Crime-Manier wie ein Tier alles zerstört, was man sich vornimmt, sodass man nur noch gerne wüsste, wer man wirklich ist. Oder aber auch ein umgangsprachlicher Begriff für das Inhalieren von erhitztem Heroin. Welcher hobby-philosophischen Spielerei man nun in gewohnter Wikipedia-Google-Tradition nachgehen will, bleibt jedem selbst überlassen, denn hier dreht es sich nun um Musik. Chase The Dragon, sprich Robin Kellermann und Mathias Schieweck aus Magdeburg. Die Beiden sind weder mit einer bekannten Affinität zu Karate Kid noch zur Drogenszene beseelt, aber dennoch steckt hinter ihrer zweiten EP „Replacing Space“ in der dreijährigen Bandgeschichte eine Klangsphäre, die sich ähnlich wie ein Drachenjäger ihren Weg durch die alltäglichen Hindernisse kämpft.

Den Anfang macht The Names Of The Lands We Had Crossed. Besattelt mit einem leisen Zusammenspiel aus Synthesizerklängen und Klaviermelodie wird schon hier direkt der Weg in den Pop geebnet. Nicht in diesem abwertenden Sinn, wie man ihn heutzutage nur zu oft verwendet. Eher wie die Hoffnung auf einen besseren Tag, während draußen der Regen jeglichen Sonnenschein untergräbt, die Passanten auf der Straße das Lachen auf einen anderen Tag verschieben und selbst die dicke Decke einen nicht wärmen kann. „We decided to break up with our past to find the true one inside“.

Fast schon als wäre diese subjektive Assoziation gewollter Pathos begrüßt einen The Lasting mit Vogelgezwitscher, als der besagte bessere Morgen, an dem man noch einmal neu anfangen kann. Vielleicht aber auch nur ein kurzer Einblick in die friedlichen Anfänge der Tage, die Robin und Mathias während der EP-Aufnahmen auf einer österreichischen Berghütte erlebt haben müssen. Wenn man auf den alten und knarrenden Holzdielen mit einem frisch gebrühten Kaffee aus erhitztem Bergwasser und Instantpulver steht und man eigentlich nicht drum herum kommt, sich mit den eigenen Dämonen auseinander zu setzen.

Musikalisch wie ein Wechsel aus Sonne und Schnee, um dann beim dritten Stück Could We vollends in den Gedanken versunken zu sein. Melancholie in ihrer Reinform: „Could we all just apologize for the things we never did for ourselves“, während der eigene Fall über die ganzen vier Minuten aufgebaut wird, um zum Schluss mit einer vorwurfsvollen Aggressivität in den oben zitierten Worten den Sturz nur noch zu beschleunigen. Kein Happy-End in Sicht. Auch nicht in den Streets Of My Hometown, die genau das heraufbeschwören, was man sich unter dem Titel vorstellt: Ein Zurückkommen an die alten bekannten Orte der Heimat, an denen das Gehirn knuspert und alte Erinnerungen projiziert, ohne auf längst verheilte Wunden Rücksicht zu nehmen, die nun schmerzhaft wieder aufgekratzt werden. Geigen aus dem Off, ein Leiden in der Stimme und die Moll-Akkorde vom Klavier als die nötige musikalische Untermalung, um danach der siebtgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns in Goodnight Güstrow die ersehnte Nachtruhe zu wünschen. Ein perfekter Abschluss, wenn dann im Hintergrund wieder Alpenvögel zwitschern und ein Bachlauf der Atmosphäre den richtigen leise, matt-glänzenden Schliff verpasst. „Bend your head and lay down“. Resignation und ruhiges Durchatmen nach fünf musikalischen Stücken, die wenig durch ihre Texte als viel mehr durch die Musik Geschichten erzählen, über die kleinen großen alltäglichen Kämpfe mit den Drachen in uns selbst.

So ist „Replacing Space“ ein Stück Musik, ohne jegliche Allüren etwas Besseres sein zu wollen. Immer mit dem nötigen Maß an Hoffnung im Blick, sei es in der Stimme, im Text oder in den Tönen. Chase The Dragon erfinden hier nichts neu, fordern nicht heraus und werden niemals Trend werden. Alles Gründe, wieso man diese EP in das eigene Herz schließen sollte. Und sei es nur, um einmal sagen zu können, man hätte die Welt durch den Klang eines österreichischen Bergbachs ein Stück besser verstanden.
foto: confidence records


chase the dragon
„replacing space“
eigenvertrieb 2008 ep
chase the dragon