Lite [Phantasia]

Der Nerd und der Bully sind am Ende vereint.
Mit mathematischer Präzision und diskreter Härte spielen die vier Herren aus Tokio ihr zweites Album in voller Länge ein.



"thanks for the recommendation but i already do love them a lot."
(eintrag in einem postrock forum)


Betrachtet man zeitgenössische Kompositionen der letzten eineinhalb Dekaden aus dem Land der aufgehenden Sonne, wird nicht nur der darin aufgenommene Einfluss westlicher Kulturen deutlich, der mit traditionellen Elementen spielend, zu einer neuen Synthese verschwimmt. Der exaltierte Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit fällt ebenso ins Auge, respektabel ins Ohr. Nicht nur in der klassischen Musik werden Musiker immer mehr zu handwerklichen Großmeistern in der Beherrschung ihrer Instrumente, wandern Finger schneller über Klaviertasten, Bögen hastiger über Geigensaiten, so dass dem Auge nur noch ein verwischtes Bild zu erfassen übrig bleibt. Auch im großen Konglomerat Popmusik zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab. Solche Beobachtungen lassen sich selbstverständlich gut in das bestehende Bild des stereotypen Japans als emsigen Workaholic Arbeitsstaat einbinden.

Wo andere Bands wie Kinski oder Crashing Dreams ihre instrumentalen Rockkompositionen langsam in kraftvollen Mustern entwickeln, herrscht bei dem japanischen Quartett Lite eine distinguierte Hektik. Vom ersten impulsiven Gitarrenriff des Eröffnungsstückes Ef an, wird dem Zuhörer kaum die Möglichkeit zum Verschnaufen eingeräumt. Mit enormer Geschwindigkeit tragen die vier Herren ihre von zwei Gitarren getragenen Stücke vor. Was bei anderen Künstlern nach Kollektivimprovisationen im Studio klingt, scheint im Falle Lites präzises und bis ins kleinste Detail kalkuliertes Songwriting zu sein. Improvisation würde am Ende Zeit benötigen, zum Denken, zum Anpassen und Reagieren, was in den supersonischen Arrangements als kaum möglich erscheint. Doch dieses technisch versierte Spiel, der hoch komplexe, oft durch Sollbruchstellen und ad hoc neu einsetzenden Rhythmen und Harmonien getragene Stil, verlangt vom Zuhörer ein hohes Maß an Konzentration. Allein die verschachtelte Rhythmik, die ein ums andere Mal auf das etablierte Viervierteltaktmuster des klassischen Rock verzichtet und an dessen Stelle stakkatohaft malträtierte Drumpattern im asymmetrischen Sieben- oder gar Dreizehnachteltakt stellt, bewegt die liteschen Stücke auf dem schmalen Grad zwischen avantgardistischer Genialität und unhörbarem Kauderwelsch. Was dem Metalhead zu diffizil mathematisch daherkommen, dem Indiegitarrenfanboy hingegen zu hart und rau konzeptioniert anmuten mag, muss sich eine Nische im Zwischen-den-Stühlen der Rockgenres suchen.

Den beiden Gitarristen Nobuyuki Takeda und Kozo Kusumoto gelingt es innerhalb der elf Stücke beinahe dialektische eine Synthese aus repetitiven, statischen Gitarrenmotiven und dichten, dynamischen Spannungsbögen aufzubauen, welche durch eben dieses Zusammenspiel – oder Gegeneinanderarbeiten, wie man will - der beiden Instrumente charakteristisch für die Band wird. Ganz gleich ob über staubtrockene Beats (Infinite Mirror), zu dem elegischen Spiel eines Cellos (Sequel To The Letter) oder brachial stampfend in dem fünfeinhalb Minuten Monster Shinkai. Das zart besaitete Interlude im Zentrum des Albums separiert "Phantsia" dann auch - wenn man die Analogie mit der Mathematik weiterspielen möchte - wie die Achse in einem Koordinatensystem in zwei sich gegenüberstehende Flächen. Zwei Seiten einer Münze, wenn man so will. Überwiegt in der zweiten Hälfte doch das eher organische, harmonische Spiel etwa im hiesigen Kontext beinahe als fragil erscheinenden, behände tänzelnden Ghost Dance – in welchem der Schlagzeuger seine unfassbare Geschwindigkeit unter anderem an einem Woodblock demonstriert -, dem sich hier fast als zeitlupenhaft entfaltenden Solitude, oder dem zwischen düster-grimmigen und erhellend-fröhlichen Momenten oszillierendem Fade.

Dieser technokratische Aspekt, das fraktale Moment im kalkulierten Spiel von Variationen und Spiegelungen, findet sich auch in der grafischen Gestaltung von "Phantasia“ wieder. In der pastellfarbenen Unörtlichkeit des Covers blicken zwei Gesichter zueinander, die mit nervös arrangierten Mustern aus Hochhaussilhouetten und Blütenkelchen überlagert sind. Das Spannungsfeld von Natürlich-Organischem und Artififziell-Technischem greift vielleicht auch das dualistische Verhältnis von uralter Tradition und High Tech Kultur auf, welches man Japan selbst zuschreibt. „Alles, was irgend ist, ein Konkretes ist und in sich selbst Unterschiedenes und Entgegengesetztes.“ Dieser hegelsche Gedanke drängt sich am Ende des Albums auf. „Was überhaupt die Welt bewegt“, so folgert dieser schließlich, „das ist der Widerspruch“.
foto:




lite
"phantasia"
transduction records 2008 cd / lp
lite

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September Malevolence [After This Darkness, There's A Next]

Wiedereinmal ist Göteborg Ausgangspunkt einer musikalischen Reise, die ihre ganz eigene Geschichte zu erzählen weiß, dabei aber nicht vom melancholischen Kern der Musikszene dieser südschwedischen Metropole abweicht.



"oh my god, it's been ages, look at you now."
(i shut doors and windows)


Wie in Jules Vernes "Voyage Au Centre De La Terre", der Reise zum Mittelpunkt der Erde, in welcher unterirdische Kulturen, niemals den Himmel sehend, in unvorstellbar großen, Vorhöllen gleichen Höhlen existieren, erscheinen die Nomaden auf dem sepiagefärbten Cover des zweiten Albums der Schweden mit dem vorsätzlich düsteren Namen. Auf Pferden und Kamelen bewegt man sich in einer utgardschen Verlorenheit mit riesenwüchsigen Stalagmiten, die sich aus dem Höhlenboden empor winden. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass das Übel von noch größerem Ausmaß sein könnte, man sich tatsächlich auf unserer nicht wieder zuerkennend verdunkelten Erdoberfläche befindet, der Himmel von schwarzen Wolken überspannt, und es tatsächlich leuchtturmdicke Tornados sind, die sich aus einem See heraus bedrohlich in die Höhe schrauben. Keiner der fliehenden Reiter wird dieses harmagedonische Szenario in irgendeiner Weise überleben. Und selbst wenn, hält der Titel eine weitere Hiobsbotschaft für diese bereit: "After This Darkness, There`s A Next".

Das ausweglos Klaustrophobische ist der rote Faden, den September Malevolence durch ihr Werk ziehen; geflochten aus Stillstand, Resignation und das sich selbst Aushändigen ins Unausweichliche. Nach der kritisch fragenden Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 mit dem Titel "Tomorrow We'll Wonder Where This Generation Gets Its Priorities From", artikuliert man sich dieser Tage tatsächlich mit Worten. Das postrocksche Schweigen des Debüts wird durch den immer irgendwie im Abwesenden stehenden Gesang von Bassist Martin Lundmark gebrochen und es sind düstere Visionen, für die er hier Worte findet. Wie die Nicht-Örtlichkeit eines finsteren Utopia, scheint auch die Nicht-Vordergründigkeit dieses Gesangs das vorliegende Album zu prägen. Gerade dieses Unpräzise, Unperfekte an der Stimme Lundmarks gibt den Stücken ihre Stärke, auch wenn das sich antithetisch aus dem Momenthaften, Konkreten speisende "Anprangern von gesellschaftlichen Misständen" (aus dem Pressetext stolz in beinahe allen Rezensionen aufgenommen) vielleicht nicht das geschickteste Thema für eine solche Veröffentlichung zu sein scheint. Agitprop, wenn man ihn ernst nehmen soll, geht anders, das weiß man.

Die musikalische Interpretation dieser ins Unendliche potenzierten Tristesse versucht alle Register des Prätentiösen und Pompösen zu ziehen, die einer Gitarrenband zur Verfügung stehen. Und doch erscheint die aus den donnernden Crescendi mittels warmer Lap-Steel Gitarre und zierlichem Glockenspiel aufblitzende Melancholie geradezu wie ein zweischneidiger Hoffnungsschimmer aus dieser paralytischen Welt. "Trust and betrayal / there's a hope, a crude light / and alone at last / I succumb to all my fears / with eyes wide shut." (Exxon Valdez, betitelt nach dem 1989 eine der größten Umweltkatastrophen verursachenden Öltanker.) Gerade hier finden sich die besten Momente der Platte, hält man mit weit aufgerissenen Augen den Atem an. Die überwiegende Auswahl an Songideen weiß zu überzeugen, man bewegt sich in bekannten Gefilden; für die Band, als auch den Zuhörer. Sowohl die langsam anschwellenden Hymnen wie Moments, als auch die kurzen, innehaltenden Versatzstücke wie Brandskar sind vertreten und man weiß solide mit den Themen umzugehen. Bereits bei dem eröffnenden Stück Who Watches The Watchmen? (Eine Hommage an Alan Moore?) und dessen irgendwo aus dem Off kommenden Klavierklängen wird klar, dass man dieses Album laut hören muss, um dessen viele Perspektiven auf die allgegenwärtige Verzweiflung alle Ehre zu erweisen; Erst dann fühlt man sich so verloren wie im cartesischen Strudel, bei dem man weder an die Oberfläche noch auf den Grund zu reichen mag. Und das ist, so vermute ich, das adäquate Gefühl diesem Monster gegenüber.
foto:



september malevolence
"after this darkness, there's a next"
a tender vision records 2008 cd
september malevolence

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Those Dancing Days [Those Dancing Days]

Nase rümpfen gilt nicht.





"I wanna know how i think and what i’m feeling, what i want my life to be."
(hitten)


Schweden gilt ja schon seid langem als die Brutstätte hochwertiger, hausgemachter und unabhängiger Musik, als Heimat von Gitarrenhelden und Popmädchen, und scheint sowieso in jeglicher Hinsicht Garant für unkonventionelle und legitime Hipness geworden zu sein. So steht der skandinavische Staat nicht nur dank seiner Bands, sondern seines gesamten Lifestyles im allgemeinen für den guten Geschmack des jungen Indiehörers der Jetzt-Zeit. Schließlich kommt Ikea aus Schweden, die Sprache klingt witzig, und die Menschen sind nachdenklich und sehen besser aus als wir. Wer etwas auf sich hält, fliegt zu Konzerten in die schwedische Hauptstadt oder belegt zumindest einen Sprachkurs in der Uni. Soweit das Klischee.

Doch der Hype ist nicht ganz unbegründet. Tatsächlich scheint der Pop, der uns aus Richtung Norden erreicht irgendwie tiefer empfunden, innovativer und musikalisch geschickter als vergleichbares aus westliche Gefilden. Im Kopf klingeln Namen wie Tiger Lou, Jens Lekmann und Anna Ternheim und nur zu leichtfertig wird bei neuen Bands Nationalität mit Qualität gleichgesetzt. So sehr Bands wie Those Dancing Days von diesem Bonus und der Vorarbeit anderer profitieren, so sehr muss der Hörer aufpassen, unvoreingenommen an die Sache, bzw. die CD heranzugehen, bzw. hineinzuhören.

Erstmal die Fakten, fünf blutjunge Mädchen an klassischen Popinstrumenten machen klassischen Indiepop. Einfache Melodien, eingängige Rhythmusmuster, Teenietexte. All das untergebracht auf einer fünf Song-EP ergeben das musikalische Endprodukt der zweijährigen Zusammenarbeit der Schweden, die in erster Linie Freundinnen und nicht Musikerinnen sind. So weisen die Songs wenig an musikalisch Neuem oder technisch anspruchsvollem Material auf, das etwas zu hektische Schlagzeug ist bisweilen unrhythmisch und die Gitarre schrebbelt noch etwas uninspiriert auf seinen Akkorden herum.

Doch darf man auch nicht 18-jährige mit Endzwanzigern oder Dreißigern messen, dessen Anspruch doch ein ganz anderer ist und auch sein muss als der, den diese im wahrsten Sinne des Wortes „Anfängerinnen“ mitbringen. Hier geht es darum eigene Songs zu gestalten, auf den vorhandenen Fähigkeiten, die es in der Zufunkt noch auszubauen gilt.

Es geht um Popkultur und die Mode die eigenen Hör- und Tanzvorlieben zur Musik zu machen. So lässt sich auch die etwas hochnäsige und selbstbewusste Attitüde der Mädchen erklären, die einfach empfänglicher für Hype und Klamottenestile sind, als die mit mehr Lebenserfahrung ausgestatteten, abgebrühten "Oldies" im Musikgeschehen (und Oldie wird man hier immer schneller). Dass man hier der momentanen Mode um das Bild vom süßen Indiegirl mit Vintage-Kleidchen, Intelligenz und Gitarre aufsitzt, ist ebenso verständlich wie normal, und nicht unsympathisch. Noch nicht. Und tatsächlich haben die Songs, besonders Hitten (schwedisch: Hit) das Potential zu kleinen Popschlagern einer gewissen, und ganz bestimmt sehr jungen Klientel, was im ganz besonders hohen Maße der wahrlich außergewöhnlich interessanten und angenehm tief gefärbten Stimme der Sängerin Linnea zuzuschreiben ist. Schon jetzt ist die junge Band auf dem besten Weg zum internationalen Hype, wir warten brav vor dem Radio und verfolgen gespannt was da ganz bestimmt noch spannendes kommt.

Those Dancig Days sind schnell, gehen vorwärts, und sind unruhig. So wie Jugend sein soll.
foto: motorfm



those dancing days
"those dancing days"
wichita 2008 ep
those dancing days

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Sonntag Nachmittag [Juni 2008]






















fotos: manuel kaufmann

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